7 Thesen für ein evangelisches Leben in Freiheit und Verantwortung, im Glauben und in der Liebe.
31. Oktober 2017

7 Thesen für ein evangelisches Leben in Freiheit und Verantwortung, im Glauben und in der Liebe.

Dienstart:

Predigt
von Pfarrer Mag. Robert Eberhardt am 31.10.2017
anlässlich des Jubiläums
500 Jahre Reformation

Grundlage und Thema meiner Festpredigt am 500. Jahrestag des Thesenanschlags sind 7 Thesen, die ich in der Auseinandersetzung mit Martin Luther im Laufe des Jubiläumsjahres entwickelt habe. Sie stellen für mich dar, was den evangelischen Glauben ausmacht und wofür wir als evangelische Christen stehen.

These 1. Grundlage des Glaubens und christlichen Lebens ist Jesus Christus, der uns in einzigartiger Weise den dreieinigen Gott offenbart hat. Evangelischer Glaube bleibt daher ausgerichtet auf Gott, dem Schöpfer allen Lebens. Gott ist Liebe.

Gott ist das faszinierende Geheimnis des Lebens. Jesus Christus ist nicht ein 2. Gott und auch nicht eine Konkurrenz für Gott. Jesus ist nur deshalb wichtig und interessant, weil Gott wichtig und interessant ist. Jesus Christus ist die Tür zu Gott, weil wir nur durch ihn zu Gott finden.
In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden.
Christus ist der sichtbar gewordene Gott.

Es ist klar: Das Judentum und der Islam haben ein Problem mit der Trinität. Auch viele Christen tun sich damit schwer. Eine Lehre der Trinität findet sich auch nicht in der Bibel. Es gibt nur eine einzige triadische Formel in der Bibel, und die findet sich im Taufauftrag am Ende des Matthäus-Evangelium: taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Damit lässt sich jedoch keine Lehre der Trinität begründen. Die wird erst im 4. Jahrhundert entwickelt. Wir glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der sich in Jesus Christus sichtbar den Menschen gezeigt hat und im Heiligen Geist alle Tage bei uns ist. Mit dieser Klarstellung wird der Dialog mit den anderen monotheistischen Religionen wieder möglich. Diese Grundlage verbindet uns auch mit allen anderen Konfessionen und Religionen. Gegen alle konfessionellen Brillen, die aus dem Christentum eine neue Tugendlehre machen wollen, ist vom Evangelium her deutlich zu verkündigen: Gott ist Liebe. Und was diesem Wesen Gottes nicht entspricht, ist nicht göttlich und kein evangelischer Glaube.

These 2. Das Evangelium von Jesus Christus, die Zusagen Gottes, müssen in jeder Generation neu zur Sprache kommen, weil es befreit und heilt. Wenn die frohe Botschaft von Jesus Christus fasziniert, führt sie uns in die Nachfolge, wirkt sich im täglichen Leben aus durch Achtung und Wertschätzung gegenüber unseren Mitmenschen und lehrt uns die Schöpfung zu bewahren.

Die Zusagen Gottes machen nur 5% der Bibel aus. Doch diese Zusagen Gottes beginnen bereits auf der 1.Seite der Bibel, als Gott den Menschen in den Garten Eden setzte um ihm zusagte: "Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr essen." An Abraham erging die Zusage: "Ich will dich segnen und dich zu einem großen Volk machen." Zu Mose sagte Gott vor dem Auszug aus Ägypten: "Ich bin für dich da!" Bevor Gott dem Volk die 10 Gebote gab, sagte er ihnen zu: "Ich bin der Herr, dein Gott!" Ohne die Zusage am Anfang wären die Gebote wertlos. Die Gebote, die Gott dem Volk am Ende der Wüstenwanderung gegeben hat, sind dem Volk gegeben, damit sie ein glückliches Leben auf Erden haben. Ihre Erfüllung darf daher nicht als Bedingung für das ewige Leben missverstanden werden.

Für Josua hatte Gott die Zusage: "Ich habe dir zugesagt, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht, denn ich bin mit dir bei allem was du tun wirst." Aus dem Mund des Propheten Jesaja ließ Gott verkünden: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein." Vor seiner Himmelfahrt sagte Jesus zu seinen Jüngern: "Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt." Jesus Christus ist gekommen, um das Evangelium zu verkündigen, nicht, um uns ein neues Gesetz zu geben, das einzuhalten ist. Sonst wäre er ein Tugendlehrer gewesen. Jesus Christus ist der Messias, der Retter.

Martin Luther hat das Evangelium in der juristischen Sprache des Apostel Paulus weiter entwickelt in der sog. Rechtfertigungslehre. Er fragte: Was gilt nun? Worauf können wir uns verlassen? Die hier zentralste Aussage ist der Artikel IV im Augsburger Bekenntnis, das Luther als den Herrn und Richter aller Lehren bezeichnet:

Gott rechtfertigt den Sünder um Christi willen, indem er im Sünder Glauben schafft.

Wir brauchen unser ganzes Leben, um das in seiner Tiefe zu begreifen. Wir werden 100% ohne Leistung, allein aus Gnade gerettet. Das können wir Menschen nicht nachvollziehen, weil wir immer leistungsorientiert denken.
Aber wir können uns dem annähern, indem wir begreifen und glauben: Gott ist Liebe.
Indem er gnädig ist, ist er ein Gott der Liebe. Auch wenn er zornig ist, bleibt er der Gott der Liebe. Auch im Weltgericht bleibt er der Gott der Liebe. Gottes Liebe und seine Gerechtigkeit sind keine Widersprüche. Das Evangelium befreit und heilt. Es lässt uns aufatmen und glücklich werden. Aus Dankbarkeit über die Zusagen Gottes führt es uns in die Nachfolge, lässt uns in Achtung und Wertschätzung in jedem Menschen Gottes geliebtes Geschöpf erkennen und lehrt uns, die Schöpfung zu bewahren und nicht sie auszubeuten.

These 3. Richtschnur der Lehre von Gott ist und bleibt die Heilige Schrift, die in solider Forschung und unter Berücksichtigung der damaligen und heutigen geschichtlichen Zusammenhänge interpretiert werden muss.

In den vergangenen Jahrhunderten wurden biblische Aussagen immer wieder zum eigenen Zweck und zur Durchsetzung der eigenen Frömmigkeit missbraucht und falsch übersetzt. Die Übersetzungen der Bibel sind alle mit Vorsicht zu genießen. Die Ursprachen - Hebräisch für das Alte Testament und griechisch für das Neue Testament - bieten oft viel mehr Begriffe und Übersetzungsmöglichkeiten an. Dem gegenüber ist die deutsche Sprache arm an Begriffen.

Es ist eine wichtige Bildungsaufgabe der Kirche, die Heilige Schrift in solider Erforschung der historischen Zusammenhänge ergebnisoffen zu studieren, und nicht mit einer konfessionellen Brille zu verfälschen.

Die Heilige Schrift ist die einzige Quelle für das, was wir von Gott erfahren können.
Die Bibel ist eine Sammlung von Glaubenszeugnissen aus vielen Jahrhunderten, sie ist von Gott inspiriertes Wort, aber nicht göttlich. Göttlich ist nur Gott, und sonst niemand.

Gott verwendet sein Wort als Werkzeug. Die Bibel wird als Hammer bezeichnet und als zweischneidiges Schwert. Gott verwendet sein Werkzeug, um uns anzusprechen, zu segnen, zu ermutigen und im Glauben zu stärken.
Wir haben auch sorgsam zu prüfen, wie wir mit der Bibel umgehen. So manche erschlagen sich in ihrer Gesetzlichkeit gegenseitig mit Bibelsprüchen und werfen mit Bibelzitaten um sich, um ihre eigene Frömmigkeit biblisch zu untermauern.
Und der Zusammenhang der Aussagen bleibt unbedacht. Die Bibel ist aber kein geschlossenes System und schon gar nicht ein Rezeptbuch für ein ewigkeitstaugliches Leben. Darum wehren wir uns gegen falsche Auslegungen. Luther sagt: scriptura sui ipsum interpres. Die Heilige Schrift legt sich selbst aus, von ihrer Mitte her: und die ist Jesus Christus.

These 4. Die zentralen Anliegen des Evangeliums: Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Friede und damit der Einsatz für die Rechte und den Schutz der Schwachen, Ausgegrenzten, Fremden und Flüchtlinge bleiben zentrales Anliegen und Aufgabe der Kirche.

Die 3 Säulen der Ethik Jesu sind Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Friede. Die hebräische Sprache braucht dafür nur 2 Begriffe: zedaka, Shalom zedaka, das Luther mit Gerechtigkeit übersetzt, ist in seiner Wortbedeutung: die Ausgegrenzten in die Gesellschaft zu integrieren, dass sie am politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Leben wieder teilnehmen können, und kann daher auch mit Barmherzigkeit wiedergegeben werden. Auch „Shalom“ ist weit mehr als bloß Friede. Es meint im Hebräischen umfassendes Glück, Reichtum, Freude, gute Ernte.
Und weil Gott Liebe ist, zählt auch das Doppelgebot der Liebe, das Jesus als das höchste Gebot bezeichnet, zu den zentralen Anliegen Jesu.
Es ist und bleibt daher Aufgabe der Kirche, sich für Verfolgte und Flüchtlinge einzusetzen, dass sie in der Gesellschaft integriert werden. Das ist zedaka. Dabei scheuen wir auch nicht die Schwierigkeiten mit der Politik und Gesellschaft. Jesus sagt in den Seligpreisungen: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Sofa-Christen werden nicht verfolgt.

Es geht auch um den Schutz der Schwachen, die sich schwer tun an Gott zu glauben, und um den Fremden, der eine andere Lebenseinstellung hat und anders geprägt ist als wir. In Achtung und Wertschätzung können wir unsere Mitmenschen als Bereicherung erkennen, was auch unseren engen Horizont erweitert und uns in die Weite führt, die Gott für uns bereitet hat.

Die Kirche der Reformation ist als Minderheitenkirche darum solidarisch besonders für Minderheiten.

These 5. In vielen Bereichen werden wir aufbrechen in eine Erneuerung des christlichen Glaubens, der uns fähig macht und dazu befreit, andere nicht auszugrenzen und zu verurteilen, sondern in einen wertschätzenden Dialog mit allen Konfessionen und Religionen zu treten.

Wo brauchen wir Erneuerung? Freiheit wird oft falsch verstanden. Es geht nicht um eine Freiheit von, sondern eine Freiheit für etwas. Es ist nicht die Freiheit, glauben zu können, was wir wollen, denn Richtschnur des Glaubens ist das Evangelium. Es ist auch nicht die Freiheit, nicht in die Kirche gehen zu müssen, denn, und hier zitiere ich jetzt mal Dietrich Bonhoeffer: Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft. Wir haben die Freiheit, das Evangelium unverfälscht zu lesen und zu glauben und die Zusagen Gottes anzunehmen, aber auch die Verantwortung für unseren Glauben einzustehen und im täglichen Leben sichtbar werden zu lassen.

Erneuerung brauchen wir auch in manchen Themen des Glaubens.
So haben wir die weit verbreitete Lehre vom Absolutheitsanspruch des Christentums aufzugeben, denn was sind schon im Namen des Christentums für Verbrechen begangen worden! Wir haben sie vom Evangelium her zu ersetzen mit dem Absolutheitsanspruch Jesu Christi. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" das ist reines Evangelium und absolut richtig und die Wahrheit. Nun ich glaube: "hinabgestiegen in das Reich des Todes" war keine Touristenfahrt Jesu. Ich traue es dem Gott der Liebe zu, dass jeder Mensch, ob Katholik oder Buddhist, ob Moslem oder Baptist, im Weltgericht in Christus den Messias erkennen wird und in Ehrfurcht vor ihm in die Knie geht. Erneuerung brauchen wir auch im Denken durch Öffnung für den Dialog und für Weite. Von Buddhisten können wir Gelassenheit lernen, von Katholiken die Liebe zur Symbolik mit allen Sinnen, von den Reformierten die Freiheit und Weite des Denkens, von den Adventisten die Liebe zur Bibel, vom Islam das Einstehen für den Glauben. Den Dialog können wir aber nur führen mit einem starken eigenen Profil, das sich auf dem reinen unverfälschten Evangelium gründet.

These 6. Die Kirche wird auch in Zukunft durch eine hohe Qualität in der Gestaltung von Gottesdiensten, in Predigt, Bildung und diakonischer Einsatzbereitschaft langfristig Menschen anziehen, die im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes und im gemeinsamen Gebet im Glauben wachsen.

Erneuerung wird auch geschehen müssen in der Gestaltung von Gottesdiensten. Wir brauchen neue, zeitgemäße Elemente, denn wir sitzen ja auch inzwischen auf Stühlen, und liegen nicht zu Tisch, wie zu Jesu Zeiten. Heute ist vieles veraltet und spricht die Jugend nicht mehr an. Im Bereich der Predigt hat sich eingeschlichen, dass es eine höchsten 15 Minuten dauernde schöne Rede ist, ein Vortrag meist mit einer vorgegebenen Bibelstelle als Grundlage, und das oft weitgehend ohne Nachhaltigkeit. Predigt ist Verkündigung des Wortes Gottes in der Gegenwart. Das Evangelium muss wieder faszinieren, zum eigenen Studium der Bibel anreizen, gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen und hat auch die Aufgabe der Bildung, wenn andere Bildungsangebote nicht greifen.

Erneuerung brauchen auch unsere Gemeinschaftsformen. Wir brauchen neue Berührungspunkte und neue Formen des Dialogs über den Glauben.

Erneuerung brauchen wir in der Einstellung zum Sonntag. Der Sonntag ist der Tag des Herrn und uns gegeben, dass wir zur Ruhe kommen - das ist die ursprüngliche Bedeutung des Schabbat -, wo wir Zeit für uns selbst haben und für das was uns bewegt und wofür unser Herz brennt. Das ist auch im Blick auf die moderne Volkskrankheit Burnout heute besonders wichtig, den Sonntag wieder zu entdecken. Gott hat sich schon was gedacht beim 3. Gebot, damit wir entspannen können und heil bleiben.

These 7. Die Kirche der Reformation ist eine Kirche, in der attraktiv in der befreienden Kraft des Glaubens gelebt werden kann, die Gewissen aus gesetzlichen Zwängen befreit werden und in Dankbarkeit über die Zusagen Gottes tätige Nächstenliebe gelebt wird.

Die befreiende Kraft des Glaubens ist ein mündiger Glaube, der sich am Evangelium orientiert, Bestätigung und Korrektur erfährt in der Gemeinschaft der Glaubenden, der in der Gemeinschaft religiöse und seelische Zwänge erkennt, sich beständig weiter entwickelt und in die Weite führt.

Die Kirche der Reformation wird nur leben und an Attraktivität gewinnen, wenn sich viele wohl fühlen, im Glauben gestärkt werden, gerne teilnehmen an gemeinsamen Projekten, nicht ausgegrenzt, sondern integriert werden, ein gegenseitiges Geben und Nehmen erleben, sich freuen und dankbar sind für die Gaben der anderen, die ergänzen und bereichern. Im Gespräch über den Glauben, im gemeinsamen Feiern von Gottesdiensten können wir uns helfen, unsere Gewissen aus gesetzlichen Zwängen zu befreien, die Freiheit des Evangeliums spüren und erleben, die uns aber auch in die Verantwortung für einander führt, einander zu helfen, dass wir in den Herausforderungen des Lebens heil werden und heil bleiben.

Die Zusagen des Evangeliums führen in Dankbarkeit in die tätige Nächstenliebe, so dass wir ein Leben in Freiheit und Verantwortung, im Glauben und in der Liebe führen können, und das nicht, damit wir das ewige Leben bekommen, sondern weil wir die Zusage des ewigen Lebens haben.

Ich fasse zusammen:

Diese Thesen wollen nicht eine Vision, ein Wunschdenken sein, etwa für die nächsten 500 Jahre, sondern eine gemeinsame Basis, auf der wir unser Leben als Christen in Freiheit und Verantwortung, im Glauben und in der Liebe leben können und im Glauben gestärkt werden, zur Umsetzung unseres evangelischen Glaubens im täglichen Leben beflügelt und angespornt werden, eigene konfessionelle Prägungen überdenken, aus Zwängen und Einseitigkeiten befreit werden und als mündige Christen mit einem eigenen starken Profil fähig werden in den Dialog mit anderen zu treten, für unseren Glauben einzustehen und in Achtung und Wertschätzung unseren Mitmenschen zu begegnen, ohne sie zu verurteilen.
So kann zedaka – Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – und shalom – Glück und Frieden  – geschehen, damit das Reich Gottes unter uns groß werde.

soli deo gloria! Allein Gott sei Ehre!

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