19. November 2017

Es ist gut so.

Passage: Lukas 16,1–9

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

 

Wenn man einen Sachverhalt anschaulich machen will, kleidet man ihn gern in eine Geschichte. So werden die Dinge lebendig und es entsteht ein Bild vor den Augen. Die meisten Menschen mögen eine gute Story im Kino lieber als einen wissenschaftlichen Vortrag im Lehrsaal. Universum schlägt Fachartikel usw.

 

Kinder lernen über Geschichten.

Historiker arbeiten mit erzählten Zeitzeugenberichten.

In Fabeln transportieren Tiere anschaulich Lebensweisheiten.

In Brechts Theaterstücken werden politische Lehren im Spiel transportiert, und Religion hätte keine Wirksamkeit, wenn sie sich in dogmatischen Sätzen erschöpfen würde.

 

Und erst die Bibel! Die Bibel ist ein Buch voller Erzählungen. Das lebendige Erzählen einer biblischen Geschichte ist das Kernstück des Religionsunterrichts oder auch des KiGo. Die biblischen Geschichten haben viele verschiedene Formen.

 

Eine prominente Form ist das Gleichnis, in die – so ist die Überlieferung – Jesus selbst immer wieder seine Botschaften verpackte.

Am bekanntesten ist vielleicht das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das zum Grundbestand der Geschichten unserer Kultur überhaupt gehört. Anschaulich, spannend und mit einer Pointe, die gut tut: Und diese lautet: Was immer du auch ausgefressen hast, du darfst wieder heimkommen zu deinem Vater, zu deinem Gott. Und das ist gut so!

 

Direkt nach dieser so einleuchtenden, wunderbaren Geschichte steht im Evangelium nach Lukas (in der so genannten Gleichnisrede im 16. Kapitel) das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter. Und wenn wir jetzt eine spannende Geschichte erwarten, dann werden wir nicht enttäuscht. Aber: einfach oder gar einleuchtend ist dieses Gleichnis nicht.

 

1 Jesus wandte sich zu seinen Jüngern und sagte: »Ein reicher Mann hatte einen Verwalter. Über diesen gingen Klagen bei ihm ein; es hieß, er veruntreue ihm sein Vermögen. 2 Da ließ er den Verwalter rufen. ›Was muss ich von dir hören?‹, sagte er zu ihm. ›Leg die Abrechnung über deine Tätigkeit vor; du kannst nicht länger mein Verwalter sein.‹ 3 Der Mann überlegte hin und her: ›Was soll ich nur tun? Mein Herr wird mich entlassen. Für schwere Arbeit tauge ich nicht, und ich schäme mich zu betteln. 4 Doch jetzt weiß ich, was ich tun kann, damit die Leute mich in ihren Häusern aufnehmen, wenn ich meine Stelle als Verwalter verloren habe.‹ 5 Nacheinander rief er alle zu sich, die bei seinem Herrn Schulden hatten. ›Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?‹, fragte er den ersten. 6 ›Hundert Fass Olivenöl‹, antwortete der. Darauf sagte der Verwalter: ›Hier, nimm deinen Schuldschein, setz dich schnell hin, und schreib statt dessen fünfzig.‹ 7 Dann fragte er den nächsten: ›Und du, wie viel bist du ihm schuldig?‹ – ›Hundert Sack Weizen‹, lautete die Antwort. Der Verwalter sagte zu ihm: »Hier, nimm deinen Schuldschein, und schreib statt dessen achtzig.‹ 8 Da lobte der Herr den ungetreuen Verwalter dafür, dass er so klug gehandelt hatte. In der Tat, die Menschen dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Menschen des Lichts.« 9 »Darum sage ich euch: Macht euch Freunde mit dem Mammon, an dem so viel Unrecht haftet, damit ihr, wenn es keinen Mammon mehr gibt, in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet.“

 

Herr, segne an uns dein Wort und hilf uns, es zu verstehen und danach zu handeln. Amen.

 

Eine arge Geschichte, oder? Hier in diesem Gleichnis, mit dem sich Jesus an seine Jünger richtet und das im Lukasevangelium überliefert ist, begegnet uns ein völlig überraschendes Lob: Einem sehr wohlhabenden Mann, im Landhandel erfolgreich, kommt zu Ohren, dass sein Geschäftsführer den Besitz verschleudert. Ob das stimmt oder nicht wird nicht gesagt. Er lässt den Geschäftsführer kommen, möchte, dass dieser Kassensturz macht und kündigt ihm die Entlassung an.

Dieser wiederum, den Verlust der Existenz vor Augen, hat eine Idee: Er erlässt einigen Schuldnern seines Chefs einen Teil ihrer Schulden und erkauft sich so ihre Gefälligkeit. Diese könnte ihm – so hofft er – nach der Entlassung ein Dach über dem Kopf und vielleicht eine neue Anstellung bringen.

 

Die Geschichte eines vermuteten und vollzogenen Betruges eigentlich.

Du sollst nicht stehlen steht in den 10 Geboten. Und der Geschäftsführer hat ganz offensichtlich in die Kassa gegriffen … und er tut es weiterhin. Das kann nur die umgehende, fristlose Entlassung bedeuten. Bestenfalls! Das wäre nachvollziehbar. Und wohl auch gerecht.

 

Jesus erzählt uns hier ein Gleichnis, eine Geschichte, in der menschliches Verhalten und göttliches Urteilen aufeinandertreffen. Und wieder einmal bewahrheitet es sich, dass Gottes Waagschalen nach anderen Gesetzen reagieren, als wir es gewohnt sind. Denn die Geschichte nimmt eine frappierende und unerwartete, ja eine unfassbare Wendung: Der Herr lobt den untreuen Verwalter – oder wie er im Original heißt: den Verwalter der Ungerechtigkeit. Er lobt ihn! Klug habe er gehandelt! … Ja, was soll das? Wie geht das zu? Wie kann das sein?

Doch das entscheidende ist: Jesus lobt gerade nicht einen skrupellosen Betrüger, sondern nur dessen ganz auf die Zukunft ausgerichtete Klugheit. Und diese Klugheit ist auch der Bezugspunkt des Gleichnisses. Um Gleichnisse verstehen zu können, muss man eben genau diesen Bezugspunkt herausfinden, nur dann kann man ein Gleichnis erfassen.

Und der Bezugspunkt dieses Gleichnisses ist die Klugheit. Jesus lobt gerade nicht einen skrupellosen Betrüger, sondern nur dessen ganz auf die Zukunft ausgerichtete Klugheit. Denn der Geschäftsführer erkennt, dass sein Noch-Job bereits der Vergangenheit angehört. Was er im Blick hat, das ist seine Zukunft. Und die hängt – ob er will oder nicht – nun einmal nicht mehr an roten und schwarzen Zahlen, die er in irgendwelche Bücher schreibt, sondern an Menschen, auf die er angewiesen sein wird. Und die sucht er für sich zu gewinnen … mit den Mitteln, die ihm nun einmal zur Verfügung stehen.

Jesus geht es hier gar nicht um die Rechtfertigung einer mehr oder weniger krummen Sache. Es geht auch nicht um den Diebstahl oder den Betrug. Es geht vielmehr um zweierlei:

  1. Schafft euch Beziehungen für übermorgen, sagt er. Vitamin B ist alles. Schafft euch Beziehungen mit dem Geld, das ihr habt. Ihr könnt nicht auswandern aus der Welt, das Geld bleibt in euren Händen. Aber was ihr damit anstellt, das bestimmt eure Zukunft.
  2. Die Zukunft hängt davon ab, was ihr mit dem Geld in euren Händen macht. Und das ist auch in eurem Interesse. Baut Beziehungen auf, baut eine haltbare Gemeinschaft. Denn Zukunft ist immer nur die gemeinsame Zukunft. Der Mensch alleine ist schwach. Erst in der Gemeinschaft mit anderen wird er stark und kann schier unfassbares leisten.

Trotzdem glaubt man, sich verhört zu haben. Das ist den Jüngern – und wahrscheinlich auch den zuhörenden Pharisäern und Schriftgelehrten – nicht anders als uns gegangen. Wir haben ein Rechtsempfinden und so geht das nicht! Da könnte ja jeder …!

 

Versuchen wir hinter das Geheimnis zu blicken. Unsere Geschichte, die sich nur bei Lukas so findet, schließt sich unmittelbar an gleich drei andere Gleichnisse an:

  • Im Gleichnis vom verlorenen Schafist Gott der Hirte, der sich über ein gefundenes Schaf freut, das er von seinen einhundert verloren hatte. Das Bild deutet Jesus selbst: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
  • Das nachfolgende Gleichnisvomverlorenen Groschenhat dasselbe Thema. Hier ist Gott die Frau, die ihr Fundstück bejubelt: Freude wird sein vor den Engeln Gottes, über einen Sünder, der Buße tut.
  • Im bekannten Gleichnis vom verlorenen Sohnwiederum ist Gott der Vater, der seine Würde vergisst und die Tatsache, dass sein Jüngerer das Erbe verprasst hat, und ihm voll Freude entgegenläuft: Er war verloren und ist wieder gefunden.

 

Alle diese Gleichnisse illustrieren drastisch, überraschend und in großer Konsequenz das vergebende und gerecht machende Handeln Gottes. Alle diese Gleichnisse waren die Antwort Jesu auf die Vorwürfe und Kritik die ihn erreichten. Alle diese Gleichnisse gehören zusammen. So gesehen bekommt das dann eine ganz neue Ausrichtung.

 

Man kann es so sehen, dass auch das Gleichnis vom Verwalter in genau diese Reihe gehört und feststellend sagen: „Lieber Gott, da verschleudert und verramscht jemand deine Gnade, da könnte ja jeder kommen:

  • Mit Zöllnern essen,
  • Schuldigern die Schuld erlassen,
  • Sündern die Sünden vergeben,
  • verlorene Schafe retten,
  • Gefallene nicht in den Staub treten,
  • Obdachlose und Sandler nicht verspotten,
  • Gefangenen nicht die Würde nehmen,
  • Flüchtlinge nicht zurückweisen!

Das geht doch nicht, tu etwas, da könnte ja jeder kommen!

 

Und Gott sagt darauf nur: „Ja, da kann jeder kommen. Es ist gut so!“

 

Es ist gut so! So kann man das Gleichnis auch verstehen. Dann geht es darin nicht um die Schilderung eines real-ökonomischen Vorgangs. Nicht um das sozial-ethische Profil des Christentums und nicht um Jesu Einstellung zum Geld.

 

Dieses göttliche Handeln in seiner schier unglaublichen Bedingungslosigkeit ist eben doch immer wieder ein Anstoß, ein Skandalon, wie es im Altgriechischen heißt, schlichtweg ein Skandal.

 

Heuer im Jahr des Reformationsjubiläums wurde ja eine zentrale Erkenntnis Martin Luthers vielfach beleuchtet, hervorgeholt aus der Geschichte: Sola gratia. Allein aus Gnade.

In der evangelischen Kirche ein vertrauter Satz.

Aber, Hand aufs Herz. Kommt er in unserer Lebenswirklichkeit an? Oder schockiert uns die Konsequenz aus diesen Gleichnissen nicht genauso wie die Zeitgenossen Jesu?

Gott handelt anders: Manchmal lässt er 99 zurück, um einen zu finden.

Gott handelt anders: Er hat nichts gegen die Tüchtigen und Fleißigen, aber er wendet das nicht gegen den, der sich verrannt hat im Leben.

Und wenn wir von ihm den Rausschmiss erwarten, kann es sein, dass er die Tür öffnet.

Und … es ist gut so!

 

Ja, das ist immer noch ein Skandal. Das evangelische „sola gratia“ stößt sich immer wieder die Stirn blutig an der Wand aus Logik, Sitte, Moral, geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, unserem vorgeblich natürlichen Empfinden, unseren Werten und Einstellungen.

 

Wer das „sola gratia“ groß macht, wird schnell konfrontiert mit den drastischen Beispielen: Und was ist mit Hitler, Stalin, Khomeini? Und dem, der kleine Kinder missbraucht? Und dem Faulenzer, der der Gesellschaft auf dem Geldbeutel liegt und nicht vom Sofa aufstehen mag? Dem Steuerhinterzieher? Dem unehrlichen Verwalter? Den Prassern, Säufern und Wegelagerern?

 

Als im vergangenen Jahr hochrangige Kirchenvertreter mit der Frage konfrontiert wurden, ob man auch IS-Terroristen lieben müsse, wehten die Shitstorms durch die sozialen Medien. Dabei machten es sich die Kirchenvertreter nicht einfach und argumentierten nicht populistisch, sondern differenziert und theologisch.

 

Ich muss ihnen jetzt eine große Wahrheit sagen, auch wenn das unbequem ist. … Wir sind nicht Gott.Wir werden immer weit hinter dem zurückbleiben, was er denkt und tut.

 

Gedanklich stehen wir natürlich näher bei den murrenden Zeitgenossen Jesu. Versuchen, so gut es geht – mal mehr mal weniger – moralisch, anständig, berechenbar, wertorientiert und klug durchs Leben zu gehen. Arbeiten an uns und unseren Haltungen, erziehen unsere Kinder, entwickeln unsere Meinungen und gehen durchs Leben in der Hoffnung, dass wir uns nichts Wesentliches hier auf dieser Erde zu schulden kommen lassen. – Und das ist ja viel und aller Ehren wert.

 

Unser Gott geht aber einen Schritt weiter.

Er wertet uns nicht ab. – Niemals.

Er nimmt uns nichts. – Niemals.

Natürlich gilt das Fest des Reiches Gottes auch uns. – Immer.

Aber wir müssen damit leben, dort – in der Ewigkeit – auch dem einen oder anderen zu begegnen, dem wir nach unseren Maßstäben Hausverbot fürs Paradies erteilen würden.

Aber, ich bin froh, dass menschliche Maßstäbe für die Ewigkeit nicht taugen. Denn wie es da aussieht, wo sie gelten, sehen wir jeden Tag in den Nachrichten.

 

Amen.

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