10. Dezember 2017

Geduld!

Serie:
Passage: Jakobus 5,1–6

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

 

Wir haben heute nicht die Millionenshow, aber lassen sie mich mit einer Frage beginnen: Was haben Thomas Gottschalk, Heide Simonis, Steffi Graf, Harald Schmidt, Günther Grass sowie sechs Männer und vier Frauen aus unserer Gemeinde im gerade abgelaufenen Kirchenjahr gemeinsam?

Sie hatten allesamt keine Geduld mehr mit ihrer Kirche und sind ausgetreten. Was sie betrifft, kommt der Aufruf des Jakobus zu spät: „So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn.

 

Tag für Tag sind es Dutzende Menschen, die keine Geduld mehr aufbringen, auf den Herrn zu warten, und sich darum dem Heute zuwenden. Dazu gehören aber auch Menschen, die keine Lust und keine Kraft mehr in sich verspüren, sich mit Hoffnungen abspeisen zu lassen, deren Erfüllung sich im Ungewissen verlieren.

 

Denken wir an die Kranken, die nicht mehr daran glauben wollen, dass sie zu einer Normalität des Lebens zurückkehren können.

Denken wir an die Eltern, die darüber verzweifelt sind, dass ihre Tochter in die Unerreichbarkeit der Drogenszene abzurutschen droht.

Denken wir an den Arbeitslosen, der schon lange jede Hoffnung hat fahren lassen, noch einmal in ein normales Arbeitsverhältnis eintreten zu können.

Oder denken wir an unsere Freunde, unsere neuen Gemeindeglieder, die so lange auf eine Nachricht in ihrem Asylverfahren warten müssen.

Wird das Leben jemals wieder normal, wird es wieder gut werden? Was hält diese Menschen aufrecht? Was lässt sie ihr Los ertragen?

 

Einige dieser Menschen treten vielleicht einmal aus der Kirche aus, weil sie nicht erkennen können, dass diese ihnen bei ihren existentiellen Problemen helfen kann. „Warum soll ich bei der Kirche bleiben? Ich habe nix davon. Und Kirchenbeitrag muss ich auch noch zahlen“. Ein Argument. Dabei liegt der eigentliche Grund ihrer Entfremdung vom Glauben meist nicht einmal in einer wie auch immer gearteten Kritik an der Institution Kirche. Die Ursache dafür ist darin zu finden, dass der hoffnungsvolle Blick auf das Kommende, das Zukünftige mehr als getrübt ist.

Was aber können wir all diesen Menschen sagen? Was könnte sie vom Schritt der Schmidts und Gottschalks oder der 10 Voitsberger abhalten? Hören wir zunächst das, was Jakobus den Christen zu sagen hat:

7 So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.

8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. 9 Seufzt nicht widereinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür.

 

Herr segne dein Wort an uns, lass es in uns wirken und uns geduldig ausharren. Amen.

 

Geduld – ist das nicht ein Wort, mit dem sehnlichst wartende Menschen vertröstet werden sollen?

Solange es darum geht, Kinder in der Adventzeit anzuhalten, bis zum 24. Dezember mit Geduld auf den Weihnachtsmann oder das Christkind zu warten, ist das ja noch relativ unproblematisch. Ein Gang über den Adventmarkt kann da ebenso Abhilfe schaffen wie ein Adventkalender.

Aber wie sieht das aus mit unserer Geduld in Sachen Arbeitslosigkeit, mit unserer Geduld mit pubertierenden Jugendlichen, mit unserer Geduld beim Umgang mit lebensbedrohlichen Krankheiten?

Sind wir da bereit in Zeiträumen zu denken, die vom Schreiber des Jakobusbriefes aus gesehen schon 1.900 Jahre umfassen? Sind wir bereit, unsere Lebens- und Hoffnungsperspektive auf das auszudehnen, was Jakobus das „Kommen des Herrn“ nennt? Sind wir bereit das Ende dieser Welt, den eigenen Tod und den neuen Anfang im Reich Gottes heute schon zu denken, ohne dabei in Panik zu geraten und uns in Ängsten zu verstricken?

 

Aber, jetzt und an dieser Stelle muss ich bekennen: Ich selbst gehöre zu den notirisch ungeduldigen Menschen. Und wahrscheinlich bin ich nicht der einzige in diesem Raum. Ich möchte Projekte möglichst dann schon abgeschlossen sehen, wenn sie gerade den Status der Idee verlassen haben. Darum neige ich oft zu Ungeduld auch meinen Mitmenschen gegenüber.

Also so gesehen bin ich eigentlich ungeeignet, über diesen Text zu predigen. Aber dann denke ich mir, dass diese Bibelstelle vielleicht gerade an Menschen wie mich gerichtet ist. An Menschen also, die durchaus über den Tag hinausdenken, an Menschen, die eine hohe Erwartungshaltung an die Zukunft haben – denen es aber an Geduld, an Ausdauer und manchmal auch an Rücksicht auf die mangelt, die nicht so schnell sind.

 

Nun redet der Briefschreiber aber nicht den Langweilern das Wort, die nie ein Ende und oft genug auch keinen Anfang finden. Er rechtfertigt auch nicht das Aussitzen von Problemen. Er vertröstet auch niemanden auf den Sanktnimmerleinstag.

Jakobus verlangt nicht, ungerechte Lebensverhältnisse einfach zu erdulden. Nein – Jakobus plädiert für eine wache, tätige, leidenschaftliche Aufmerksamkeit. Das unterstreicht er durch den Hinweis auf das bäuerliche Leben: „Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.

 

Dieses Beispiel ist in dreifacher Hinsicht von Bedeutung:

  • Zunächst muss der Bauer aktiv sein. Er muss das Feld pflügen, es bestellen und das Saatgut säen.
  • Das war es dann aber für eine Zeit. Denn der Bauer weiß, dass für die Reife Faktoren wichtig sind, die er nicht oder bestenfalls kaum beeinflussen kann. Das Wetter z.B.
  • Bei alle dem hat der Bauer ein klares Ziel vor Augen: die Ernte der Frucht. Diesem Ziel, also dem Erfolg, dem Ertrag dient seine Geduld.

 

Die Geduld setzt also eine Aktion (Saat) und eine klare Perspektive voraus. Dann wird aus der Geduld das, was nichts mehr mit Inaktivität zu tun hat: der lange Atem der Leidenschaft, das aktive Warten.

Jakobus möchte damit die Christen in seiner Gemeinde und daher auch uns in zweifacher Hinsicht aktivieren:

  1. Sie sollen sich dem Kommen Gottes öffnen, mit dem Ende allen Seins rechnen.
  2. Und sie sollen in Erwartung auf dieses Kommen ihr Leben an Gottes Wegweisungen ausrichten.

Das bedeutet ganz einfach gesagt: Das Heute soll von der Zukunft her gestaltet und nicht die Zukunft aus dem Heute ausgeklammert werden. Also die frohe Zukunft soll unser Jetzt bestimmen. … Bekanntlich ist ja nicht die Schaden- sondern die Vorfreude die eigentlich größte Freude.

 

Und nun müssten wir alle, die aus der Kirche ausgetreten sind oder mit diesem Gedanken spielen, alle, die sehr ungeduldig ihre Ziele verfolgen – also auch die zehn Voitsberger –, und vielleicht auch immer wieder uns selbst zuerst fragen:

  • Wie sieht es mit eurer Saat, mit dem, was ihr in Kirche und Gesellschaft mit einzubringen bereit und in der Lage seid aus?
  • Wie sieht es mit eurer Zielvorstellung aus?
  • Welchen Erwartungen geht ihr entgegen?
  • Rechnet ihr mit einer Zukunft, die über euren eigenen Tod hinausgeht?
  • Rechnet ihr mit einer Zukunft, die über das Ende der Welt hinausreicht?
  • Rechnet ihr mit dem Kommen Gottes?

 

Wenn wir so fragen, dann geht es nur noch in zweiter Linie um die Institution Kirche. Dann steht unsere eigene Lebens-, Glaubens- und Hoffnungsperspektive im Mittelpunkt. Dann drängen sich folgende Fragen auf:

  • Bleibt unser Denken und Handeln auf das Heute beschränkt?
  • Oder beziehen wir ein, wie wir Morgen dastehen werden – dann, wenn Gott kommt ... wenn er bei uns anklopft, bei uns Wohnung nehmen will?
  • Dann, wenn er vor uns steht als Kranker, als Gefangener, als Hungernder, als Obdachloser – oder wir vor ihm stehen, vor dem Kind in der Krippe.
  • Sehen wir dann in diesen Menschen, in diesem Kind unsere Zukunft – oder doch nur die Bedrohung meines Heute, eine unangenehme Störung, die es zu beseitigen gilt?

 

Man kann diese Fragen auch knapper formulieren: Was ist der Maßstab bei Entscheidungen, die ich zu treffen habe: Denke ich an die Zukunft dieser Welt und der Menschen, die auf ihr leben, oder kalkuliere ich nur danach, welche Vorteile ICH dadurch haben werde?Oder noch knapper: Entscheide ich mich für das, was uns alle weitebringt oder nur für das, das mich alleine weiterbringt.

 

Beim einen, bei der Entscheidung für das, was alle weiterbringt, brauche ich oft Geduld, bis sich das gewünschte Ergebnis einstellt. Es ist wie ein gutes Vier-Gänge Menü. Das Schauen auf meinen eigenen Vorteil, koste es was es wolle, ist dagegen wie ein billiges Fast-food Menü. Schnell zwar und es macht satt, aber halt nicht lange. Vor allem aber ungesund.

In diesem Sinn bedeutet Geduld,

  • über den Tellerrand meines eigenen Lebens blicken,
  • über den Tag hinausdenken und
  • die Perspektive des Glaubens gewinnen.

 

Der Jakobusbrief macht sehr drastisch deutlich, was aus einer Lebensperspektive wird, der es an dieser Weitsicht, an diesem langen Atem, an der Leidenschaft für die Sache Jesu mangelt. Unmittelbar vor dem Predigttext geht der Schreiber des Jakobusbriefes mit den Menschen, die nur noch das Heute, ihren Eigennutz, sehen, hart ins Gericht. Ich zitiere:

1 Nun zu euch, ihr Reichen! Weint und klagt über all das Elend, das über euch hereinbrechen wird! 2 Euer Reichtum verrottet, und die Motten zerfressen eure kostbaren Kleider. 3 Euer Gold und Silber verrostet, und ihr Rost wird euch anklagen. Ja, ihr werdet selbst vergehen wie euer Reichtum. Warum habt ihr euch – jetzt, wo die letzten Tage dieser Welt angebrochen sind – bloß Schätze angehäuft?4 Der Herr, der allmächtige Gott, hat den Schrei eurer Erntearbeiter gehört, die ihr um ihren verdienten Lohn betrogen habt.

5 Euch dagegen ist es auf dieser Erde gut ergangen, ihr habt in Saus und Braus gelebt und euch gemästet, obwohl euer Schlachttag doch längst vor der Tür stand. 6 Unschuldige habt ihr verurteilt und umgebracht, und sie haben sich nicht gegen euch gewehrt.

 

Jakobus brandmarkt eine Sorge für den morgigen Tag, die doch nur im Heute stecken bleibt:

  • der Reichtum auf Kosten der anderen.
  • Alles für sich selbst horten, nichts mehr teilen wollen mit dem Nächsten,
  • noch am Schlachttag sich selbst mästen –

das ist Ausdruck vom Nur-noch-heuteund vom Nur-noch-ich.

… Und das, genau das ist die Folge des Verlustes einer Perspektive, die mit dem Kommen Gottes, seinem Gericht und seiner Gerechtigkeit, rechnet.

Wer aber nicht mehr mit dem Kommen Gottes rechnet, wer nicht mehr einkalkuliert, dass er sich für sein Tun und Lassen verantworten muss, wer meint, auf moralische Maßstäbe verzichten zu können, der wird – ob Mitglied der Kirche oder nicht – früher oder später zur Rechenschaft gezogen werden. Mögen heute global und anonym agierende Manager sich nicht mehr um das Gemeinwohl eines Staates kümmern, mögen sie nur noch ihre eigenen, völlig maßlos gewordenen Gehälter und ihren Luxus im Blick haben, mögen sie Firmen pleite gehen lassen und daran noch ihren Profit machen – das alles ändert nichts daran, dass sie sich dem Gericht Gottes, dem Tod nicht entziehen können und dass auch ihr Reichtum und ihr Luxus verfaulen, ihr Gold und Silber zerfressen wird.

 

Der deutsche Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat dazu 2003 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen sehr lesenswerten Artikel unter der Überschrift „Das Gesetz des Dschungels ... Ein Plädoyer für mehr Moral“ geschrieben. Dort findet sich der bemerkenswerte Satz: „Die Wurzel der Misere liegt in dem schnellen Rückgang von Moral und Anstand bei einigen Managern.“ Das ist sehr viel zurückhaltender und freundlicher formuliert als der Jakobusbrief dies tut. Aber letztlich geht es um dasselbe: Nach welchen Maßstäben leben wir? Was bedeuten Moral und Anstand? Sicher zuerst und vor allem: Geduld, einen langen Atem – und ganz sicher Leidenschaft, Leidenschaft für diese Welt, für die nächste Generation, Leidenschaft, die aus dem Glauben erwächst und beides beinhaltet: Bereitschaft zum Leiden und Schaffenskraft.

Doch all dies ist nur zu haben, wenn ich mich an dem orientiere, was mit Gott im Advent auf uns zukommt: Jesus Christus, mein Nächster, die Verheißung der neuen Welt. Und die säkulare Welt wartet auf dieses Handeln der Kirche, also der einzelnen Gläubigen. Denn wie sonst ist die Aussage von Landeshauptmann Schützenhöfer zu werten, die er auf der Supversammlung am 14.10.2017 tätigte: es müsse „wiederum um Sein und Sinn und nicht nur um Soll und Haben“ gehen.

 

Und nun können wir ja überlegen, ob wir diese Perspektive und diese Orientierung ohne die Arbeit der Kirchen, ohne das Wort Gottes, ohne das Denken und Handeln der Gläubigen erreichen werden.

Wir können uns sehr real vorstellen, was wird, wenn die Führungsriegen unserer Gesellschaft nur noch von Menschen besetzt sind, denen die Jenseitsperspektive fehlt, die sich selbst zumGott des Heuteerheben.

Wir können uns ja vorstellen, wenn überhaupt keine Grundsätze mehr gelten außer dem, möglichst schnell meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen – ohne Rücksicht auf das Wohl des Nächsten. Dabei können wir in dieser Hinsicht auf schmerzliche Erfahrungen zurückblicken:

  • die Nazi-Zeit, in der dem Nihilismus des Menschenherrentums gefrönt wurde;
  • die Zeit des real existierenden Sozialismus, der sich selbstzerstörerisch am Paradies im Heute abarbeitete;
  • jetzt die Zeit rücksichtsloser Interessenpolitik und A-Moralität als Prinzip: hier schnell einen Krieg vom Zaun brechen, dort eine Plutoniumanlage liefern; hier Waffen exportieren und dort Städte und Landschaften zubetonieren.

Das alles zeugt nicht von Geduld, sondern vom Ausleben kurzfristiger Interessen im Heute. Das alles zeugt nicht vom Advent, nicht vom Kommen, sondern vom Gehen, vom Niedergang. Das alles zeugt auch nicht vom Säen und vom geduldigen Warten auf den Ertrag, sondern von Raubbau.

Dabei merkt man: Geduld ist weniger ein Zeitbegriff, als vielmehr eine moralische Kategorie. Sie ist die Kraft, die Zukunft eröffnet und erfüllte Zeit schenkt.

 

Vor diesem Hintergrund ist es ein Segen, dass wir im Advent wieder das Warten lernen – nicht mit in den Schoß gelegten Händen, sondern mit Händen, die beten und arbeiten, die segnen und zupacken, die heilen und innehalten. Und vor diesem Hintergrund steht es uns allen gut zu Gesicht, in der Erfüllung unserer persönlichen Wünsche geduldiger zu werden, aber aufmerksamer für das, was durch Jesus Christus an Verheißung und an Trost auf uns zukommt. Die eigentliche Erfüllung unseres Lebensjedoch werden nicht wir bewerkstelligen können. Sie kommt einzig durch Gott.

Und bis dahin haben wir genug damit zu tun, uns gegenseitig zu ermutigen und zu stärken. Bis dahin warten viele Menschen auf Trost und Hoffnung, auf ein geduldiges Handeln aus einem moralisch gebundenen Gewissen heraus – nicht zuletzt in und durch die Kirchen.

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