Bischof enthüllte zwei bemerkenswerte Gedenktafeln an Voitsberger Kirche

Am 7. September 2014 enthüllte der Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche, Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, an der Außenfassade der Evangelischen Kirche in Voitsberg zwei Gedenktafeln, die unterschiedlicher kaum sein können: eine Tafel zum umstrittenen Altarbild der Kirche und eine weitere Tafel zu Ehren von Pfarrer Erwin Kock.

 
Gleich bei der Einleitung der Enthüllung machte der Bischof klar, dass wir „… für die Vergangenheit nichts können. Doch wir können uns mit ihr beschäftigen. Und wir müssen das sogar, wenn es sich um eine Vergangenheit handelt, wie diese.“ Die beiden Gedenktafeln könnten unterschiedlicher nicht sein und erinnern an ein leidvolles Kapitel unserer Kirche: Einerseits das umstrittene Altarbild, andererseits eine Gedenktafel für Pfarrer Erwin Kock.

 

Antisemitisches Altarbild

Das unter Denkmalschutz stehende Altarbild der Voitsberger Kirche, welches Kreuzigung und Auferstehung Jesu zeigt, war länger Gegenstand der Diskussion. Das beim Eintreten in die Kirche sofort auffallende Wandgemälde, das die gesamte Altarwand einnimmt, ist ein Werk des Grazer Malers Erich Hönig aus dem Jahr 1936. Das Altarbild ist nach Ansicht von Experten in seinem Inhalt als antisemitisch einzustufen, eine Sicht, die von vielen Gemeindemitgliedern lange Zeit nicht geteilt wurde. Es stellt eine brennende Synagoge zur Linken des gekreuzigten Christus dar. Nimmt es die zwei Jahre später stattfindende Reichspogromnacht vorweg? „Der Antisemitismus ist nicht erst durch den Anschluss im März 1938 in Österreich eingezogen, sondern war ein bereits vorhandenes ideologisches Fundament. Die für die nationalsozialistische Ideologie zentralen Elemente des Antisemitismus, … mussten nicht erst von den Nazis eingeführt werden. Sie waren bereits in großen Teilen der Bevölkerung tief verwurzelt und lieferten dadurch die Plausibilitätsstrukturen für die Handlungen der neuen Machthaber.“ (in: Katalog zur Ausstellung „unsichtbar“ von Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Ursula Mindler. Clio Graz, 2008. S. 27). Bezieht sich der aufsteigende Rauch auf das Zerreißen des Vorhangs im Jerusalemer Tempel, als Jesus am Kreuz starb (Matthäus 27,51)? Oder ist die Tempelzerstörung 70 n. Chr. im Blick, die Generationen von Christen als Strafe für die Schuld am Tod Jesu interpretiert haben?

 

Lange leidvolle Bildtradition

Wie man es auch dreht und wendet: Mit der Darstellung einer brennenden Synagoge steht das Altarbild in der evangelischen Kirche in Voitsberg in der antijüdischen Tradition der christlichen Kirchen. Aus dem zu Anfang konkurrierenden Verhältnis von Christentum und Judentum entstanden im Laufe der Geschichte Abwertung und Feindschaft der Christen gegenüber den Juden, die immer wieder zur Verfolgung und Vertreibung führten. Durch die öffentliche Anbringung der Gedenktafel distanziert sich die Pfarrgemeinde Voitsberg „mit Scham und Trauer von der Jahrhunderte lang wirksamen judenfeindlichen Haltung der christlichen Kirchen“ und bekennt sich eindeutig „zum Weg der Umkehr und Erneuerung im Verhältnis zu unseren jüdischen Schwestern und Brüdern“. – Diese Formulierung stammt aus der Erklärung der Generalsynode der Evangelischen Kirche A. und H.B. aus dem Jahr 1998, an der Bischof Bünker federführend beteiligt war. Dort wird die Evangelische Kirche in Österreich zu einer „Zeit zur Umkehr“ in ihrem Verhältnis zu den Juden aufgerufen.

 

Wie stand der Pfarrer zu dem Bild?

Interessant und leider nicht mehr zu klären ist, wie der damalige Pfarrer der Voitsberger Evangelischen Pfarrgemeinde zu dem Bild stand, Pfarrer Erwin Kock (1934–1940), dem die zweite Gedenktafel gewidmet ist. Fest steht: Kock kam ins Visier der Nazis, weil er bei einer Begräbnisrede für den sozialistischen Stadtamtsvorsitzenden der Stadt Voitsberg gegen die herrschenden Verhältnisse anredete und „Feindsender“ hörte. Er wurde am 19. Juni 1940 zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt. In dieser Situation hat ihn auch die Kirchenleitung in Wien nicht weiter unterstützt. Pfarrer Kock war einer der wenigen, der damals das offene Wort gegenüber dem NS-Regime nicht scheute.

Der in St. Petersburg, Russland, geborene Kock war Balten-Deutscher. Nach seiner Vikarszeit war er einige Jahre als freier Evangelist in der baltischen Russlandarbeit der „Evangelischen Gesellschaft in Österreich“ tätig. Von 1934 bis 1940 war er Pfarrer in Voitsberg. Hier entwickelte er eine besondere Liebe zu den Bedürftigen; unermüdlich suchte er, den Menschen zu helfen.

 

Wegen Artikel zur GESTAPO zitiert

Ein Gemeinderundbrief vom Jänner 1940 war der Grund für eine erste Vorladung des Pfarrers vor die Grazer GESTAPO, weil er darin geschrieben hatte, „daß es außer Frage steht, daß in unseren Tagen die Zeichen der Endzeit immer greifbarer hervortreten … Nicht wenige fallen in die verhängnisvollste aller Versuchungen, indem sie Jesus Christus mit Menschen und umgekehrt verwechseln, sein Wort und seine Tat mit Menschenwort und Menschentat verwechseln.“ Kock schließt im Anschluss an Lukas 21,8 mit der Warnung, den falschen Propheten nicht zu folgen.

 

Verhängnisvolle Grabrede

Am 19. Februar 1940 beerdigte Pfarrer Kock den ehemaligen Stadtamtsvorstand, Rudolf Rossmann. Rossmann erfreute sich in einer politisch und sozial schwierigen Zeit großer Beliebtheit bei der Bevölkerung. Er wurde nach dem „Anschluss“ wegen seines „nicht ganz arischen Blutes“ und auch wegen seiner sozialistischen Einstellung entlassen.

 

Starke Worte in dunkler Zeit

In der Traueransprache geht Kock u.a. auf Rossmanns politische Bedeutung ein. Die über sein Amt hinausgreifende persönliche Hilfsbereitschaft „ist und bleibt“ für Kock „die wahre Volksgemeinschaft, ohne viel Worte und aus freiwilligem Herzen“. Von einem Mann, der eine „solche Einstellung zu seinen Pflichten und Mitmenschen hat“, kann man freilich nicht verlangen, „daß er seine Überzeugung über Nacht wechselt“.
Kock mischte sich also nicht von sich aus in das politische Geschehen ein, sein Widerstand bestand vielmehr darin, dass er sich, wenn die politischen Ereignisse von ihm eine Stellungnahme verlangten, kein Blatt vor den Mund nahm und sich auch nicht scheute, die Wahrheit offen auszusprechen. Wegen dieser Grabrede wurde Kock am 23. Februar 1940 verhaftet.

 

15 Monate Zuchthaus

In der Gerichtsverhandlung am 19. Juni 1940 in Graz wurde Pfarrer Kock wegen des „Verbrechens nach § 1 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt. Ein Gnadengesuch des Oberkirchenrates an den Stellvertreter des „Führers“ blieb ohne Erfolg. Die Qualifikation seiner Tat als „Verbrechen“ führte nach damaligem Kirchenrecht zur sofortigen Suspendierung aus dem Kirchendienst. Die Gehaltszahlungen wurden mit dem Stichtag vom 10. August eingestellt. Ein Berufungsgesuch von Pfarrer Kock gegen seine Amtsenthebung wurde allerdings abgelehnt.

 

Rehabilitation nach dem Krieg

Erwin Kock wurde erst 1945 rehabilitiert und neuerlich in den Kirchendienst aufgenommen. Er wirkte danach neben seiner Tätigkeit als Pfarrer u.a. als Vorsitzender des Österreichischen Friedensrates und auch als Mitglied des Ungarischen Friedensrates. Von 1947 bis 1978 war Pfarrer Kock als Krankenhaus- und Gefängnisseelsorger in Wien tätig. Er verstarb am 23. Jänner 1979.
Innerhalb der Evangelischen Kirche Österreichs aber war Kock einer der wenigen, die sich getrauten, gegen das NS-Regime anzusprechen. Mit der Enthüllung der zweiten Gedenktafel – für Pfarrer Kock – will die Voitsberger Kirchengemeinde dem Mut ihres ehemaligen Pfarrers ein kleines Denkmal setzen. Und sie bekräftigt es auch auf dieser Tafel ausdrücklich: „Die Evangelische Pfarrgemeinde Voitsberg distanziert sich von jeder Form von Diskriminierung und Gewalt.“

 

Gegensätze bewusst stehen gelassen

Wie gesagt: Die beiden Tafeln könnten inhaltlich kaum unterschiedlicher sein. Sie zeugen einerseits von Anpassung an – und andrerseits von Widerstand gegen den Zeitgeist. Beides hat es zur gleichen Zeit tatsächlich nebeneinander gegeben. Und so hat man sich jetzt auch für das Konzept von zwei unterschiedlichen Gedenktafeln entschieden, diese aber durch ihre räumliche Anordnung ganz bewusst zueinander in Beziehung gesetzt.
Bischof Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker
Ausschnitt aus dem Altarbild mit dem brennenden jüdischen Tempel, erkennbar am Davidstern
Pfarrer Erwin Kock
Vize-Bgm. Walter Gaich, Kur. Dietmar Böhmer, Pfr. Fleur Kant, Bischof Michael Bünker und Bgm. Ernst Meixner präsentieren die enthüllten Gedenktafeln.
Gedenktafel Tempel
Gedenktafel Pfr. Kock