Alles Wurscht!
17. Februar 2019

Alles Wurscht!

Serie:
Passage: Prediger 7,15-18
Dienstart:

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

der Hofnarr war im Mittelalter der einzige Mensch, der seinen Fürsten ungestraft kritisieren durfte. Er konnte ihm die Meinung sagen. Auch heute noch sagen die Nachfahren des Hofnarren, die Satiriker, die Kabarettisten und Comedians den Herrschenden die Meinung hinein, halten ihnen den Spiegel vors Gesicht. Und da wir in einer Demokratie leben, sind wir die Herrschenden und so bekommen wir humorvoll verkleidet des Öfteren von der Bühne herab den Spiegel vors Gesicht gehalten.

Und manches Mal berühren die Dinge, die uns ein Komiker so richtig reinsagt sogar Theologisches. Der Komiker selbst kann heute sogar als Band daherkommen. Wer von ihnen kennt die EAV? … Man glaubt es kaum, aber ihre Texte sind zutiefst gesellschaftskritisch und teilweise auch theologisch gehaltvoll.  Wie z.B. das Lied s’Muaterl. In diesem Lied hören wir u.a. folgenden Refrain:

Herrgott, es gescheh' dein Wille!

Nur manchmal glaub' ich

du brauchst eine Brille

und auch ein Hörgerät,

weil du siehst und hörst mi net,

wenn's mir da herunten dreckig geht.

Aber vielleicht muass des so sein,

vielleicht muass des so sein...

In dem Song geht es darum, dass das Handeln der Kirche nicht immer deckungsgleich mit ihren moralischen Forderungen ist. Gerade in der aktuellen Zeit, blickt man nur ein paar Kilometer weiter ins Kärntnerische, ist das mehr als aktuell. Auch thematisiert der Song die Tatsache, dass es scheinbar keinen Unterschied macht, ob ich in meinem Leben an Gott glaube, mich gar an seine Ratschläge halte oder nicht. Wie wir auch aus unserem eignen Leben und den Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens gemacht haben wissen, ist das Leben oft genug ungerecht und auch die Guten und Gläubigen Menschen sind vor Schicksalsschlägen nicht gefeit. Und so heißt es in einer Strophe:

Ihr Nachbar, der war nie noch in der Kirch'n,

raucht hundert Tschick am Dog und sauft zwa Liter Wein,

is pumperlg'sund doch unser armes, braves Muaterl,

hot a hine Leber und a Raucherbein!

 

Ja, so ist das im Leben. Jeder kennt solche Beispiele und man kann sie beliebig erweitern. Das Gute oder doch auch das Traurige daran ist, dass wir das auch schon in der Bibel so lesen können, beispielsweise in unserem heutigen Predigttext, in Pred 7,15–18

15 Dies alles habe ich gesehen in den Tagen meiner Nichtigkeit: Da ist ein Gerechter, der umkommt in seiner Gerechtigkeit, und dort ist ein Gottloser, der lange lebt in seiner Bosheit. 16 Sei nicht allzu gerecht und erzeige dich nicht übermäßig weise! Warum willst du dich selbst verderben? 17 Sei aber auch nicht allzu gesetzlos und sei kein Narr! Warum willst du vor deiner Zeit sterben? 18 Es ist am besten, du hältst das eine fest und lässt auch das andere nicht aus der Hand; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

 

Herr, dein Wort ist Weisheit pur. Lass uns darauf hören und es in unser Herz aufnehmen, damit auch wir weise werden. Amen.

 

Der Prediger braucht für das von der EAV gesungene nur einen einzigen Vers, wenn er sagt: „Da ist ein Gerechter, der umkommt in seiner Gerechtigkeit, und dort ist ein Gottloser, der lange lebt in seiner Bosheit.“ Kennen auch wir alle, oder? Wer hat das schon einmal so gedacht oder gesagt, jedenfalls so empfunden? … Keine Sorge, das ist nichts Schlechtes, es ist normal. … Also, das so zu denken ist normal, meine ich. Die fatale Sache ist nämlich die:  Der Glaube kann zwar Berge versetzen, aber vor Schicksalsschlägen, die das Leben so für mich „bereit hält“ bewahrt er mich nicht. Da kann ich stundenlang beten, alle Gebote noch so genau befolgen wie es nur geht und mich auch an die kirchlichen Moralvorstellungen halten … am Ende, ja am Ende macht es scheinbar keinen Unterschied, ob ich „Gerechter“ oder „Gottloser“ bin. Mehr noch, oft kommt es einem vor, dass man mit der einen oder anderen Lüge, das eine oder andere „zu vergessen“ oder das eine oder andere Mal, wenn man den Herrn den sprichwörtlich guten Mann sein lässt, weiter kommt. Und, ja, so lesen wir es ja auch in der Bibel, in Mt 5,45: „Der Vater im Himmel lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“.

 

Das führt zur wirklich großen und berechtigten Frage: Wozu also alles? Also z.B. all die Vorschriften beachten? Haben all diejenigen recht, die um diese Zeit lieber schlafen oder Autowaschen, anstatt in die Kirche zu gehen? Denn, wozu überhaupt? Mehr noch: wozu überhaupt noch an einen Gott glauben? Bei der Vorbereitung zu dieser Predigt habe ich immer mehr gespürt, wie brandaktuell dieser eigentlich uralte Text heute ist. Ich finde es überhaupt erstaunlich, dass er überhaupt in die Bibel aufgenommen wurde. Schließlich übt er ja offensichtlich Kritik an den traditionellen Glaubensaussagen, also an den Grundfesten, die genau dieses Buch bildet. Und um noch eins draufzusetzen belässt es der Prediger zu allem Überfluss nicht bei seinem Befund, sondern gibt seinen Lesern auch noch einen Ratschlag mit auf den Weg, wenn er in V 16 sagt, dass wir nur nicht zu gerecht und weise sein sollten; immerhin sollen wir aber auch nicht allzu gesetzlos sein.

 

Passt dieser Ratschlag nicht wie die Faust aufs Auge in unsere heutige Zeit? Man spürt im Text wenig von einem Gesetz oder moralischen oder gar ethischen Idealen, gar Weisungen. Vielmehr eine Leichtigkeit des Seins. Spaßgesellschaft! Egal was ist, Hauptsache man hat Spaß, gar Spaß um jeden Preis, auch wenn es mal der Übertretung eines Gesetzes bedarf? Lernen, Arbeiten, sich um andere kümmern? Nicht so wichtig, solange man Spaß hat!

 

Man spricht ja oft von der sogenannten hermeneutischen Brille. Man liest aus einem Text immer das heraus, was man selbst bestätigt haben will. Sie kennen das sicher auch. Ganz offenkundig wird das, wenn man sich ein neues Auto kaufen will. Man beschäftigt sich mit einem bestimmten Modell und plötzlich sieht man nur mehr Autos dieser Marke und dieses Modells auf der Straße, obwohl es einem vorher kaum aufgefallen ist. Kennen sie das? Auch das ist eine hermeneutische Brille. Und um objektiv entscheiden, um objektiv lesen zu können, müssen wir diese beiseitelegen. Und dann macht der Text doch mehr Sinn. Es geht hier nämlich um das, was Aristoteles schon immer forderte: Suche die Mitte, nicht die Extreme.

 

Es geht also um das Maßhalten, um die richtige Balance im Leben. Und das gilt für alles. Zu streng in Glaubensdingen … und man wird zum IS oder einer fundamentalistischen christlichen Gruppierung. Beides ist … nun ja … extrem schlecht. Oder man ist zu lax in Glaubensdingen. Dann ist einem alles egal und die christlichen Werte werden dereinst verschwinden. Atheismus mit all seinen bekannten negativen und letztlich despotischen Auswüchsen greift um sich.

 

Was der Prediger mit seiner Aussage in seiner Zeit erreichen wollte, auch das gilt heute noch für uns: Er will den Tun-Ergehen-Zusammenhang attackieren und seine argumentative Schwäche aufzeigen. Damit ist das „Wenn du das und das tust oder lässt, dann tritt das oder das ein oder es lässt sich dieses oder jenes verhindern.“ gemeint. Aber dieser Automatismus funktioniert nicht nur in Glaubensdingen nicht. Für mich ist undenkbar, dass dies von Gott jemals so vorgesehen gewesen wäre. Das bedeutet aber: Wir können den Lauf unseres Lebens – ob nun positiv oder negativ – nicht an unserem Glaubensenthusiasmus oder Desinteresse ablesen. Das gilt natürlich auch umgekehrt und zwar für Gott. Er braucht daher weder eine Brille noch ein Hörgerät. Er ist immer an unserer Seite, komme was wolle … und ob es uns passt oder nicht.

 

Was wir allerdings nötig haben ist wohl eine neue Sicht und ein neues Hören. Und zwar ein Hören auf Gottes Wort! Denn an das sollen wir uns schon halten. Gerade das macht auch der Prediger ganz deutlich: „Es ist am besten, du hältst das eine fest und lässt auch das andere nicht aus der Hand; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.“ Was damit gemeint ist: Die Gesetze, ja, an die müssen wir uns natürlich halten, jedenfalls dann, wenn wir Chaos vermeiden wollen. Aber dabei sollten wir nicht auf die Freiheit vergessen, die uns die Liebe schenkt und mit dem Herzen sehen, das diese Liebe öffnet. Denn an dieser Liebe soll und will jede Vorschrift und jede Moral gemessen werden. Dient sie dem Leben? Oder steht sie ihm im Wege? So hat auch Jesus immer wieder gehandelt, in dem er von den Geboten der Schrift als Zuspruchlas und nicht als Forderung. Das hat ihm viel Ärger eingebracht, aber eröffnet uns die Möglichkeit, toleranter und barmherziger mit der Welt und mit uns selbst zu sein. Oder mit einem Satz: Das Evangelium schlägt das Gesetz.

 

Egal wie es mir im Leben ergeht, egal wie gut oder schlecht Gottes „Bodenpersonal“ ist, wenn ich ein gläubiger Mensch bin, wenn ich im wahrsten Sinne des Wortes meine Mitte finde, geht es mir besser. Schlechte Zeiten kann ich besser überstehen, in guten fühle ich mich dankbar und neige nicht zur Überheblichkeit.

 

Daher: Den Glauben sehr wohl ernst nehmen, aber nicht verbissen und verkrampft agieren, einfach die Mitte zu suchen– das ist die Weisheit, die der Prediger uns an diesem Sonntag mit auf den Weg geben will. Probieren wir es aus. Bei Gott haben wir nichts zu verlieren. Und so sollten wir uns selbst ernst und gewissenhaft die Frage stellen: Wie gehen wir nun mit diesem Ratschlag nach dem Streben zur Mitte um? … Können wir ihn in unseren Lebensvollzug integrieren, finden wir die Balance zwischen den Extremen? … Und wenn, was bedeutet das praktisch für mich und meine Umwelt, für meine und unser aller Lebensqualität? Wie verändert sich dadurch unser Leben und das Leben um uns herum?

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