Gold und Silber
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext steht in Apg 3,1–11:
1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.
3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. 4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.
9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. 11 Als er sich aber zu Petrus und Johannes hielt, lief alles Volk bei ihnen zusammen in der Halle, die nach Salomo genannt ist, und sie wunderten sich sehr.
Herr, berühre unsere Herzen, damit wir dein Wort aufnehmen und unser Handeln davon bestimmen lassen. Amen.
Der Text stellt uns als Kirche Jesu Christi eine unangenehme und zugleich äußerst aktuelle Frage: Was haben wir als Kirche den Menschen zu bieten? „Gold und Silber haben wir nicht …“ lesen wir und sind erst einmal … erstaunt! Das ist also die erste Reaktion der großen Apostel? Geld?! Ging es damals schon um nichts anderes als Geld?
Uns heute kommt das jedenfalls irgendwie bekannt vor! Denn schon seit Jahren hören wir, dass weder die Kirche noch die Gemeinde, das Land oder gar der Bund Geld für dieses oder jenes hat. Wir hören, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen. Wir müssen effizienter arbeiten. Die Kassen sind leer, das Erbe verbraucht. Und doch findet sich dann doch immer wieder der eine oder andere Euro um etwas zu machen oder auch um eine sinnlose Anschaffung oder einen überteuerten Bau durchzuführen.
Doch lassen wir das Politische, konzentrieren wir uns auf uns, auf unsere Kirche, auf unsere Pfarrgemeinde. Es ist bekannt, dass wir ein sehr geringes Budget haben. Mehr noch, es soll sogar Gemeinden geben, die knapp vor dem Konkurs stehen. Unsere zählt hier glücklicherweise nicht dazu. Doch wie sieht es aus, wenn man die demographische Entwicklung ansieht? Wir werden als Gesellschaft älter und die Jungen haben mit Kirche weniger am Hut als wir hier, die wir regelmäßig in den Gottesdienst kommen.
Was also hat Kirche den Menschen zu bieten? Gold und Silber waren es damals schon nicht und sind es auch heute nicht. Andererseits, was wäre das dann für eine Kirche, die Menschen förmlich kauft? Nein, selbst wenn wir dazu in der Lage wären, würde ich mich als Kurator dieser Gemeinde sogar dagegen verwehren. Was aber gewiss scheint: Im Jahr 2050 wird die Kirche eine andere sein als sie heute ist.
Oder vielleicht doch nicht? Luther prägte den Begriff der inneren und der äußeren Kirche. Die äußere Kirche ist dabei das Sichtbare, also das Gebäude. Die innere ist das eigentliche Wesen der Kirche, die Gemeinschaft, dass hier Menschen da sind, die etwas teilen; nicht nur einen Glauben, sondern auch Leid und Freud. So gesehen mag es Änderungen in der äußeren Kirche geben, aber die innere wird bleiben. Sie kostet nämlich kein Geld und sie erfüllt etwas, das jeder Mensch gerne hat: Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Und sie gibt uns Hoffnung.
Der Gelähmte am schönen Tor. Aus dem Text können wir schließen, dass er wohl schon seit seiner Geburt gelähmt ist und von Verwandten immer wieder an dieses Tor gebracht wird. Das Betteln um Almosen ist sozusagen seine tägliche Arbeit. Er hat keine Hoffnung auf Heilung, nur die Aussicht auf ein wenig Geld, damit er sich für den Abend etwas zu Essen und Trinken kaufen und auch sonstige Ausgaben finanzieren kann. Dieser Mann ist aber im Grunde hoffnungslos. Er hat sich sozusagen in sein Schicksal ergeben. Das einzige was er sich noch erhoffen kann sind freigiebige Menschen, die ihm mit Geld helfen.
Hat der Mann nicht recht? Was soll man schon groß erhoffen, wenn man von Geburt an krank ist und einem die Ärzte sagen, da geht nix mehr? Das ist in unseren Augen ja auch realistisch und vernünftig. Denn lebt es sich nicht besser, wenn man akzeptiert, was nun einmal nicht zu ändern ist? Ist es nicht reine Zeitverschwendung, auf ein Wunder zu warten? Quält man sich nicht unnötig mit der Vorstellung, es könnte einmal besser werden? Natürlich gibt es den technischen Fortschritt und damit auch bessere Chancen für Menschen mit Behinderung. Gerade habe ich erst einen Bericht über ein Exoskelett gelesen, das Querschnittsgelähmte tatsächlich in die Lage versetzt, wieder aufrecht zu gehen. Ein Wunder, jedenfalls in den Augen des Bettlers von damals …
Und heute? Wer glaubt heute noch in unserer modernen Zeit an Wunder? Zu brutal erleben wir Tag für Tag, dass gerade, was das Leid in der Welt angeht, sich nicht viel ändert. Namen, Gesichter und Orte wechseln, aber sonst …? An die Nachrichten über Todesopfer im Irak und in Afghanistan haben wir uns fast schon gewöhnt, Meldungen über Bombenexplosionen lassen uns kaum noch einen Moment aufschrecken. Und was die Auseinandersetzung in und um Israel angeht, haben wir da nicht auch schon längst vor den Waffen der Kontrahenten kapituliert? Krieg, Hunger, Armut – die Menschheit schreibt an einer unendlichen Geschichte des Leids … und wir sind nur Statisten …!? Was darf die Welt von uns erwarten? Was haben wir den Menschen zu bieten? Gold und Silber?
Wissen sie was? Entschieden nein! Was würde das ändern? Menschen brauchen nicht Geld um glücklicher zu werden oder aus dem Elend zu kommen. Das klingt provokant. Aber Jahrzehnte der Entwicklungshilfe haben nur eines gebracht: Dick gefüllte Schweizer Bankkonten von Despoten aus aller Welt. Und nach wie vor unermessliches Elend in den Zielländern. Mit dem Geld wird und kann man keine Hoffnung kaufen. Aber wissen sie was? Menschen brauchen Hoffnung hingegen mehr als Geld. Wer keine Hoffnung mehr hat, hat aufgehört zu leben! Hoffnung jedoch beflügelt Menschen und führt schließlich zu Wundern.
Gibt es nicht! Sagt der moderne Mensch. Aber: Es gibt sie doch, die Wunder, auf die wir zu hoffen aufgegeben haben. Wir meinen nur, es gibt sie nicht, weil wir ja in der Zeitung nichts davon lesen. Wir lesen nur vom Gegenteil, denn nur wenige Wunder schaffen es in den Medien auf Seite eins. Spektakulär muss es halt sein, sonst verkauft sich eine gute Nachricht nicht. Wie zum Beispiel die elf thailändischen Jungs und ihr Trainer, die sich in einer Höhle vor den hereinbrechenden Wassermassen immer weiter ins Innere zurückziehen mussten und erst nach mehr als neun Tagen gefunden wurden. Lebend! Es ist ein Wunder, dass sie alle wieder das Tageslicht sehen konnten. Es ist ein Wunder, dass sie nicht den Verstand verloren haben. Und es ist ein Wunder, wie Fremde auf einmal zu Helfern werden, sogar ihr Leben riskierten und – leider auch in diesem Fall – lassen mussten, um anderen das Leben zu ermöglichen. Oder der LKW-Fahrer auf der Brücke in Genua, der die Brücke knapp vor sich einstürzen sah? Der Fußballer, der 30m in die Tiefe stürzte und überlebte? Solche oder ähnliche Geschichten gibt es übrigens immer wieder. Nur haben wir verlernt, darauf zu achten und in ihnen das zu sehen, was sie sind: Wunder. Stattdessen werden sie durch naturwissenschaftliche Erklärungen abgekanzelt. Natürlich lassen sie sich so erklären, aber trotzdem? Ist es, trotz aller naturwissenschaftlichen Vorgänge und Erklärungen, nicht ein Wunder, dass die Jungs lebend geborgen wurden, der Mann nicht abstützte und der andere den tiefen Fall überlebte? Können diese Dinge denn überhaupt etwas anderes sein als Wunder?
Lassen sie mich nun auf die Eingangsfrage zurückkommen: Was haben wir als Kirche Jesu Christi den Menschen zu bieten? Sehr viel, sage ich. Wir sind uns dessen nur nicht bewusst. Was wir nämlich bieten können ist viel mehr als Gold und Silber, viel wertvoller. Wir können den Glauben an Wunder geben! Zugegeben, das klingt platt, ist aber viel mehr als esoterischer Schnickschnack und medienverliebte Wunderheiler zu bieten haben. Denn es geht in erster Linie darum, Menschen, die uns brauchen, in den Blick zu nehmen und ihnen die Hand zu reichen.
Für sie da zu sein.
Um ihnen wieder Hoffnung zu geben.
So wie es Petrus und Johannes auch getan haben.
Bevor der Gelähmte gehen kann, erlebt er, dass ihm jemand in die Augen schauen will. Wahrscheinlich das erste Mal seit Jahren. Wie wird er sich wohl gefühlt haben? Was ging in ihm vor? … Er, der erstmals nach vielleicht Jahrzehnten wieder als Mensch und nicht als der „Krüppel vor dem Tor“ wahrgenommen wurde? …
Bevor dieser Mann wieder stehen kann, erfährt er, wie es ist, aufgerichtet zu werden.
Beides ist Teil des Wunders, das einen Menschen tanzen und Gott loben lässt. Dafür braucht unsere Kirche kein Gold und kein Silber … sondern Menschen, die Gottes Liebe in sich tragen und mehr für möglich halten, als die Welt uns zugestehen will. Den großen Wunder Gottes gehen die kleinen ersten Schritte des Menschen voraus. Wir müssen nur den Mut aufbringen, diesen Schritt zu tun und zu bedenken, was die drei christlichen Tugenden sind: Glaube, Liebe und eben Hoffnung. Diese zu verbreiten, das ist Aufgabe der Kirche Jesu Christi. Das ist unsere ureigenste Aufgabe, die nur wir tun können. Sonst niemand!