22. Juli 2018

Über den Umgang mit Enttäuschungen.

Passage: Lukas 19,41–44
Dienstart:

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

Enttäuschung! Jeder Mensch muss oft genug in seinem Leben mit Enttäuschungen umgehen. So auch bei der gerade erst letzten Sonntag zu Ende gegangenen Fußball-WM. Sehr viele Menschen erlebten eine Enttäuschung, weil ihr Team ausgeschieden ist und die erhoffte Sensation nicht eintrat oder ihr Team der Favoritenrolle nicht gerecht wurde. Auch in der Seelsorge ist Enttäuschung ein häufiges Thema. Oft fließen dabei Tränen, nicht selten kommt es zu Wut und auch Hoffnungslosigkeit oder ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit. Und im schlimmsten Falle produziert Enttäuschung auch Hass. Oder auch Tratsch und Klatsch oder abwertendes Reden, so wie wir es auch vorher in der Lesung (Jak 3,3–12) gehört haben.

 

Enttäuschung kommt dabei kollektiv daher, wie beim Fußball. Aber auch individuell, wenn ich z.B. von einem Freund enttäuscht werde. Aber wissen Sie was? Es klingt absurd: Enttäuschungen sind normal. Man kann nämlich nicht Mensch sein, ohne von Menschen enttäuscht zu werden. Es ist dies der Schatten einer wunderbaren Gabe, nämlich die Kehrseite der Hoffnung. Wir Menschen haben als einzige Lebewesen auf diesem Planeten die Fähigkeit, uns geistig vorzustellen, was wir gerne hätten. Wir können hoffen. Und wie alles seine zwei Seiten im Leben hat, wie es Licht nicht ohne Schatten gibt, gibt es Hoffnung nur, wenn es auch Enttäuschung gibt.

 

Enttäuschungen begleiten uns das ganze Leben hindurch. Viele konstruieren als Kind das Bild einer idealen Familie, einer idealen Mutter, eines idealen Vaters, einem Menschen voller Liebe, Zuneigung, Weisheit, Humor, Fantasie und Zärtlichkeit. Das Bild ist zusammengesetzt aus lauter positiven Eigenschaften von Familien aus der Nachbarschaft und aus Filmen und Büchern, Eigenschaften, die man bei der eigenen Familie auch gerne erleben würden. Und dann schaut man seine real existierende Familie an, und ist natürlich enttäuscht. Sie ist ja soo gewöhnlich und besitzt kaum eine der wunderbaren Eigenschaften, von der unsere Hoffnung träumen kann. Später dann die Enttäuschung über Freunde, die nicht so sind, wie man es erhofft oder auch den eigenen Partner.

 

Meine größte Enttäuschung begann mit einer unbewussten Sehnsucht nach einem wirklich guten und treuen Freund. Ein Kollege schien genau diesem Idealbild zu entsprechen. Er bestätigte meine Sehnsüchte, indem er mir in allem schmeichelte, mir den Bauch pinselte und mich mit Komplimenten überhäufte. Er wollte möglichst viel Zeit mit mir verbringen, von mir lernen, mich unterstützen – ich war ein wenig wie im Himmel, dank ihm. Als er mich dann unverhofft an meiner schwächsten Stelle gemein hinterging und betrog, brach für mich eine Welt zusammen. Meine übertriebenen Hoffnungen landeten hart auf dem Boden der Realität.

 

Enttäuschte Hoffnung steht hinter einem großen Teil von all dem Gram und Schmerz, der zum Menschenleben gehört. Kann man sich denn gegen diese Enttäuschungen nicht wappnen? Kann man nicht irgendwie vorbeugen, dass einem die bittersten Tränen erspart bleiben? Wäre das nicht besser, also immer wieder auf die sprichwörtliche „Schnauze“ zu fallen?

 

Natürlich kann man das. Dazu gibt es drei Konzepte:

  1. Zum einen das des Buddhismus: Gib deine Hoffnungen, Sehnsüchte, Wünsche und Erwartungen alle auf. Wenn du nichts erwartest, wirst du auch nicht enttäuscht. Wer keine Wünsche hat, ist wunschlos glücklich. Nimm einfach die Realität, wie sie ist. Aber, ist das das nicht armselig? Ist das nicht gegen alles, was den Menschen ausmacht? Hoffnungen, Sehnsüchte, Wünsche und Erwartungen. Ein Leben ohne diese … da wäre der Mensch ja nichts anderes als eine Maschine. Armselig, oder?
  2. Andere versuchen, mit Menschenkenntnis Enttäuschungen vorzubeugen. Wenn man den Leuten nämlich an der Nasenspitze, Haarfarbe und Augenstellung ablesen könnte, ob sie vertrauenswürdig oder schlitzohrig sind, ließe sich viel Enttäuschung vermeiden. Ja, wenn man es könnte, wie oft hat man es versucht und mindestens gleich oft hat man sich wahrscheinlich geirrt.
  3. Und schließlich drittens versuchen viele instinktiv, ohne es zu merken, sich zu panzern und gegen Enttäuschung und Kränkung abzuschotten. Sie werden misstrauisch, distanziert und argwöhnisch. Sie lassen sich mit ihren Gefühlen auf keine tiefere Beziehung ein. Sie lassen Hoffnungen und Gefühle gar nicht erst aufkommen. Sie panzern sich mit Gleichgültigkeit und Zynismus, um dem bitteren Schmerz der Enttäuschung vorzubeugen. Und gerade dadurch schneiden sie sich vom Schönsten ab, was wir haben, … von Freundschaft und Liebe. Sie werden griesgrämig und niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. Ja, das ist auch eine Lösung. Wenn man nur alleine im Wald oder auf dem Berg lebt und mit niemanden etwas zu tun hat, dann kann man auch von niemandem enttäuscht werden. Will man das wirklich, ganz alleine leben, ohne Kontakte, ohne mit anderen Menschen etwas zu tun zu haben? Sind wir dann noch Mensch?

Jesus ist da anders als Buddha. Er lebt wirklich in dieser Welt, ist nicht abgeschieden und wirkt nicht fast schon jenseitig. Und das interessante dabei: Jesus ermutigt uns mit keinem Wort, Enttäuschungen vorzubeugen und aus dem Weg zu gehen. Ganz im Gegenteil! Hören wir dazu aus Lk 19:

41 Als Jesus die Stadt Jerusalem vor sich liegen sah, weinte er über sie. 42 »Wenn doch auch du heute erkannt hättest, was dir Frieden bringt!«, rief er. »Aber jetzt bist du mit Blindheit geschlagen. 43 Es kommt eine Zeit, in der deine Feinde einen Wall um deine Mauern aufschütten und dich von allen Seiten belagern. 44 Sie werden dich dem Erdboden gleichmachen und deine Bewohner töten. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Denn du hast die Gelegenheit, als Gott dir nahekam, nicht genutzt.«.

Alleine dieser Abschnitt ist ein bedeutsamer Unterschied zwischen der Hl. Schrift und vielen Lebenshilfebüchern, Philosophien und Ideologien. Und das Entscheidende ist: Es ist überraschend und zugleich guter Trost, dass wir hören, dass Jesus seiner Enttäuschung durch Tränen Ausdruck gegeben hat. „Wenn doch auch du heute erkannt hättest, was dir Frieden bringt!“ Die Menschen jener Stadt, also Jerusalem, die den Frieden im Namen trägt (Salem), begreifen nicht. Sie nehmen die Botschaft nicht an, die Heil und Frieden bringen würde. Jesus war ganz offensichtlich enttäuscht. Enttäuscht über das Verhalten der Menschen und enttäuscht auch über das, was dieses Verhalten auslösen würde, nämlich Zerstörung und Tod.

 

Wichtig ist: Jesus weint. Er ist traurig. Er bedauert von Herzen, dass Menschen die Wahrheit nicht begreifen können oder wollen. Und was wir hier hören, ist nur ein kleiner Teil all der Enttäuschungen, die zu seinem Leben gehören. Denn sein Leben war eigentlich von Enttäuschungen durchdrungen:

  1. Seine Familie versteht ihn nicht, ja sie meint sogar, er sei von Sinnen. Stellen Sie sich so etwas vor!
  2. Seine Bekannten in seinem Heimatort glauben ihm nicht. Sie wissen ja, der Prophet im eigenen Land.
  3. Die Jünger, die er ausgesucht und zu Aposteln berufen hat, begreifen seine Botschaft nicht. Und er ärgert sich über ihr Unverständnis: „O du unverständiges Geschlecht!“ ruft er aus.
  4. Jerusalem will die Wahrheit, die er verkündet, nicht einsehen.
  5. Sein Apostel Judas verrät ihn an die Feinde.
  6. Sein Freund Petrus distanziert sich von ihm in der Öffentlichkeit.
  7. Und das Schlimmste: Er stirbt mit dem Aufschrei: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!?

 

Was bedeutet das, liebe Gemeinde? Wie kann man damit umgehen, dass man offensichtlich nur zu oft im Leben enttäuscht wird?

  1. Buddha sagt: Lass deine Wünsche fahren, so wirst du nicht enttäuscht.
  2. Die stoische Philosophie sagt: Übe dich in Selbstbeherrschung. Zügle deine Gefühle, akzeptiere die Welt und dein Los, wie es eben ist, so wirst du gelassen und weise.
  3. Die Esoterik sagt: Konzentriere dich auf positive Bilder und Gefühle, so wirst du auch Positives erleben.
  4. Der moderne Materialismus sagt: Werde realistisch. Menschen sind hochentwickelte Tiere. Erwarte keine Treue von Menschenaffen! Wer sich täuscht, muss sich nicht wundern, wenn er enttäuscht wird.
  5. Und Jesus, was macht er: er weint, enttäuscht von den Menschen. Was heißt das nun?

 

Ich sehe darin diese Botschaft: Nimm deine Enttäuschungen an. Wehre dich nicht dagegen. Es ist gut, andern mit Vertrauen und Hoffnung zu begegnen und – das klingt jetzt seltsam - von ihnen enttäuscht zu werden. Es ist besser, immer wieder vor Enttäuschung zu weinen, besser, als wie der Buddhist seine Hoffnungen zu begraben oder wie der Stoiker mit leerem Blick und steifen Lippen unbewegt und unberührt zu bleiben. Versuch nicht, dich zu schützen vor Enttäuschungen. Die Kränkungen und Wunden deiner Seele sind nicht Schandflecke, sondern Ehrenmale. Gott wird zu dir sagen: „Ich habe deine Tränen gesehen.“ Auch sein Sohn muss durch bittere Enttäuschungen gehen, um wahrhaft Mensch zu werden. Das ist auch dein Weg. Man kann auch sagen: Ein wahrhaftiger Mensch, der zu Liebe fähig ist, kann nur ein Mensch sein, der enttäuscht wird, ein Mensch, der Enttäuschungen gewohnt ist.

 

Können Sie das hören? Vielleicht möchte mir jemand widersprechen: „Mit Tränen der Enttäuschung, wie bei Jesus, könnte ich leben. Aber ein Mensch hat mich derart enttäuscht, dass ich in ohnmächtiger Wut versinke, auf Rache sinne, dass sich Gift und Hass in mir breit machen.“ In der Tat, so habe auch ich es erlebt. Enttäuschung kann schlimmer sein, als der Tod eines geliebten Menschen. Es stirbt auch einer, wir verlieren nämlich innerlich den Menschen, dem wir fatalerweise Vertrauen geschenkt hatten. Aber bei einem wirklichen Sterben wissen wenigstens alle, warum man in schwarzer Trauer versinkt. Man kann mit Verständnis rechnen. Von einer bitteren Enttäuschung aber kann man oft nicht sprechen und bleibt allein mit Trauer, Wut und Groll.

Da ist guter Rat teuer. Eine Binsenwahrheit verdient es aber, ausgesprochen zu werden: Die Zeit wird Wut und Hass mildern. Aber nur dann, wenn man diese Gefühle nicht mehr absichtlich festhält. Heilung wird kommen, wenn aggressive Gefühle langsam zu Trauer werden und wir weinen können, … so wie Jesus. Tränen waschen die Seele, sie sind der Schweiß der Seele, der sie wieder kühlt.

 

Der Glaube kann helfen. Jesus sagt nicht nur: „Du hast den Tag nicht erkannt, an dem Gott dir zu Hilfe kommen wollte.“ Er sagt auch: „Es wurde verborgen vor deinen Augen.“ Der uns enttäuscht, ist nicht an allem selber schuld, was er tut und sagt. Es gibt auch tragische Verhängnisse, denen wir ziemlich machtlos unterworfen sind.

Es hilft, wenn wir unsere bitteren Gefühle mit Gott ins Gespräch bringen, wenn wir sogar unsere Aggression ihm entgegenschleudern. Es hilft, um durchzubrechen zur Trauer über den Verlust, der uns zugefügt wurde, zu den Tränen, die reinigen.

Und einmal kommt die Zeit, da man beten kann: „Vater, vergib ihnen.“ So lesen wir es auch in Mt 6: „14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

 

Das war nun starker Tobak, kein sehr erfreuliches Thema. Aber es kommt die Zeit, da werden wir alle leise lächeln, wenn wir an die Tränen unserer Enttäuschung zurückdenken; in der Zeit, wenn wir mit Jesus tanzen in seinem Reich.

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