21. Juni 2020

Vergeude niemals eine Krise

Passage: Jeremia 29,11
Dienstart:

Predigt von Pfarrer Robert Eberhardt am 21.6.20
„Vergeude niemals eine Krise"

Die Titelseite des neuen Freundesbriefes vom Werk für Evangelisation und Gemeindeaufbau, hat mich zu dieser Predigt inspiriert.
Dabei geht es mir jetzt nicht darum aufzuzeigen, was wir aus der Corona-Krise lernen können. Dafür sind wir zu vielfältig und verschieden. Ich kann auch keine allgemeinen Antworten geben, möchte aber dazu anregen, dass jeder von uns seine Antworten findet und seine eigenen Schlüsse zieht.

Sie haben sicher mit ähnlich großem Interesse die politischen und gesellschaftlichen Prozesse in unserer Welt beobachtet wie ich. Und wer wie ich keinen Weltkrieg miterleben musste mit all der Angst, Not und Entbehrung, für den ist die Corona-Krise die schlimmste Erfahrung. Sie wird ja auch als die schwerste Krise sei dem 2. Weltkrieg bezeichnet.
Die Finanzkrise 2008 war schon schwierig, aber die hatte „nur“ eine finanzielle Ursache durch den Einbruch der Aktienmärkte.
Jetzt ist die Ursache eine andere: ein kleiner Virus mit massiven Auswirkungen auf alle Länder der Erde.
Obwohl wir jetzt noch mit Quarantänen und nationalen Ausnahmesituationen zu tun haben, glauben viele in Österreich, es ist schon vorbei.
Kaum bis gar keine Neuerkrankungen lassen uns aufatmen und viele wollen wieder zurück in die Normalität, aber nicht in eine „neue Normalität“, sondern in die normale, gewohnte Normalität wie wir sie bis Feb. diesen Jahres kannten.

Doch was ist die bekannte normale Normalität?

• Wir wollen fliegen wohin wir wollen.
• Fronleichnam in Jesolo ist ein Muss, weil wir es 30 Jahre lang schon so gewohnt sind
• Wir wollen, dass billige Arbeitskräfte aus Billiglohnländern unsere Drecksarbeit machen.
Wir erinnern uns: das System kippte fast, als 1000e 24h-Pflegerinnen die Grenze nicht mehr passieren konnten.
• Bei den Erntehelfern bot sich das gleiche Bild.
Sie sollen um 4.--/h aus dem Ausland kommen.
Welcher Österreicher macht irgendeine Arbeit um 4.--?
• Wir wollen jederzeit alles.
• Erdbeeren auch im Winter, egal woher sie kommen, und egal, wie viele Straßenkilometer sie in LKW verbrachten.
• Äpfel aus Ländern, die man erst mühsam auf der Landkarte suchen muss, werden im steirischen Apfelland verkauft. Und die haben ebenfalls 1000e km auf der Straße verbracht, und unsere Äpfel werden tonnenweise vernichtet…aus welchen Gründen immer.

Dazu kommen jetzt neue Beobachtungen im Lockdown
• Fische in Venedig wurden wieder gesichtet
• Es sind wesentlich mehr Sterne sichtbar
• Der CO2 Ausstoß hat sich um die Hälfte verringert
• Die Natur hat sich erholt.

Wir haben 3 Monate lang „Schöpfung erhalten und bewahren“ gelebt.

Wir wissen aber auch um die negativen Auswirkungen im Lockdown

• Das hat uns eine große Zahl an Arbeitslosen gekostet
• Die Wirtschaftsleistung sinkt lt. Prognosen um 5-7%
• Es gibt neue psychische und auch gesellschaftliche Probleme (Beziehungskrisen, Home-Learning mit Kindern, Kurzarbeit u.v.m.)

Und dann Erfahrungen, die wahrscheinlich jeder von uns gemacht und darunter gelitten hat: das Social Distancing.
Eigentlich ist dieser Ausdruck nicht richtig.
Es war ja keine soziale, gesellschaftliche Distanzierung, sondern eher eine physische Distanzierung durch den 1 Meter-Abstand,
die uns auch am eigenen Leib hat spüren lassen, dass jeder von uns auch Schädliches in sich hat, mit dem er andere krank machen kann: im wörtlichen Sinn wie auch im übertragenen Sinn.

Das alles hat uns weltweit in eine Krise geführt.
Krise – krisis – bedeutet Weggabelung, Wendepunkt, Entscheidung.
Eine Krise bewirkt, dass wir mal mit quietschenden Bremsen zum Stillstand kommen. Da geht nichts mehr, weil eine Entscheidung ansteht, weil wir vor einer Weggabelung stehen und erst überlegen müssen, in welche Richtung ich weiter gehen will und kann.

Krisen haben etwas Wertvolles, weil wir uns da wieder neu bewusst machen müssen, wohin wir eigentlich wollen.
Darum: „Vergeude niemals eine Krise“.
Eine Krise bedeutet:
• Chance für Neubeginn, Neuorientierung, Heilung
• Chance für mehr Qualität im Leben
Nicht noch mehr, noch billiger, noch schneller,
sondern besser und gesünder (betrifft Lebensmittel, Reiseverhalten, Konsumverhalten u.v.m.)

Dr.Johannes Rüdisser, Ökosystemforscher an der UNI Innsbruck:
„Wenn es uns gelingt, Gesundheit, Lebensqualität und Solidarität einen größeren Wert beizumessen als Konsum, Ressourcenverbrauch und Konkurrenz, dann könnte uns der Wandel in Richtung nachhaltige Gesellschaft gelingen.“

Diese Krise hatte aber auch viele positive Auswirkungen
• Es entstand ein neues Bewusstsein und Solidarität für unsere Mitmenschen
• Viele haben die Nachbarn neu entdeckt und sind für sie einkaufen gegangen
• Von den Balkonen wurde gesungen und geklatscht /für die systemerhaltenden Berufe, und wir haben festgestellt, dass sie viel zu schlecht bezahlt werden für das, was sie leisten)
• Umso schärfer haben uns die jüngsten Rassismus-Vorfälle getroffen, weil eine neue Solidarität entstanden ist. Das drängte 50.000 Menschen sogar in Wien auf die Straße zur Demo gegen Gewalt gegenüber anderen, die nicht aussehen und denken wie wir.

Das alles müsste nicht sein, und es wäre viel schöner, wenn wir unser Leben und unser Verhalten an der Heiligen Schrift orientieren würden,
denn Paulus hat schon gesagt:
Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. (Röm 12,10)
Mit Ehrerbietung ist Achtung und Wertschätzung gemeint.

Schlussfolgerung
Das Virus und die Folgen haben bei jedem Menschen in unterschiedlicher Form etwas bewirkt.
Es hat uns über vieles nachdenken lassen, was wir vorher als selbstverständlich hingenommen haben und vielleicht gar nicht darüber nachgedacht haben.
In unterschiedlicher Form und in vielen verschiedenen Bereichen unseres Lebens und unserer Gesellschaft wünsche ich uns als Gesellschaft und auch in unserer Kirche, dass wir uns die Frage stellen:
„Wird diese Krise uns dazu führen, dass wir uns auf das besinnen, was wirklich zählt, was uns Kraft gibt und unsere Lebensqualität erhöht?“

Das biblische „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ bekommt jetzt ein völlig neues Gewicht und eine ganz neue Dimension und Bedeutung.

Gott liebt diese Welt und jeden von uns. Er gab und gibt uns nicht auf, sondern schenkt uns immer wieder Mut zu einem Neuanfang, ruft uns zur Buße und zur Besinnung und begleitet uns auf dem Weg durch die Krise in eine neue Zukunft.

Zum Schluss lasse ich Gott selbst reden durch den Mund des Propheten Jeremia, 29,11, der auch uns zuspricht:
Ich weiß, was ich mit euch vorhabe: Ich, der Herr, werde euch Friede schenken und euch aus dem Leid befreien. Ich gebe euch wieder Zukunft und Hoffnung.

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