2015 habe ich die Pfarrgemeinde nach dreieinhalb Jahren als Pfarrerin in Voitsberg verlassen und halte hiermit Rückschau. Ich möchte diesen Bericht zur besseren Lesbarkeit in folgende Unterpunkte gliedern, deren Inhalte sich allerdings zum Teil überschneiden. Einige Themen und Aktivitäten können aus Platzgründen leider nicht angesprochen werden.

Paulus schreibt: Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen. (1 Kor 6,12)

  1. Die Ankunft in Voitsberg
  2. Zeit des Einarbeitens
  3. Die Mitarbeiter/innen – Zusammenarbeit – Selbständigkeit
  4. Die 75%-Pfarrstelle in Voitsberg
  5. Religionsunterricht im Ausmaß von elf Stunden
  6. Entwicklungen im Gemeindeleben
  7. Herausforderungen, Erwartungen, Pfarrerbild
  8. Resümee

1. Die Ankunft in Voitsberg

Die Entscheidung, dass ich mit September 2011 die Pfarrstelle in Voitsberg antrete, fiel eher kurzfristig, da die Ausschreibung recht spät erfolgte. Im Vorstellungsgottesdienst im Juni 2011 habe ich mich sehr wohl gefühlt – ich bin freundlich aufgenommen worden, die persönliche Atmosphäre und die gute Gemeinschaft der kleinen Gottesdienstgemeinde sagten mir zu; das habe ich meine ganze Dienstzeit in Voitsberg hindurch auch weiterhin so erlebt und genossen.

Das Jahr 2011 war für mich von vielen großen Veränderungen geprägt: Ich beendete meine Ausbildung mit der Amtsprüfung, feierte meine Ordination ins Pfarramt, heiratete, zog in einen neuen Ort und übernahm eine neue Pfarrstelle, meine erste „richtige“.

Für die Gemeinde in Voitsberg bedeutete dies ebenfalls viel Neues. Als junge, frisch verheiratete Pfarrerin brachte ich gewisse Vorstellungen mit; die Gemeinde ihrerseits erwartete mich mit all ihren gewachsenen und liebgewonnenen Traditionen, aber auch mit großer Offenheit für das, was ich einbrachte.

Die Kuratorin Roswitha Großauer unterstützte mich, wo sie konnte, suchte das Gespräch, gab mir viele Informationen, die mir helfen sollten, mich zurechtzufinden, stellte Kontakte her, begleitete mich bei Hausbesuchen, etc. Diese Unterstützung erleichterte mir den Einstieg in das neue Arbeitsumfeld sehr.

2. Zeit des Einarbeitens

Die ersten Monate waren gefüllt mit vielen neuen Begegnungen (in der Gemeinde, in den Schulen, in der Öffentlichkeitsarbeit etc.), Gottesdiensten, Religionsunterricht und Unterrichtsvorbereitung, Konfikurs, sehr viel Organisation, meiner Amtseinführung, Anfreunden mit EGON und diversen Büroarbeiten, Sitzungen, der GV-Wahl, …

Es war eine spannende, gefüllte und auch erfüllende Zeit. Die Vielfalt der Aufgabenbereiche forderte mich auf verschiedenen Ebenen und ich konnte eine Menge lernen.

Wie in einer persönlichen Beziehung, so finde ich, ist es auch mit einer Gemeinde und ihrem Pfarrer/ ihrer Pfarrerin: anfangs überwiegt die Begeisterung, man sieht vor allem die guten Seiten aneinander, mit der Zeit lernt man sich immer besser kennen, manches kommt erst nach längerer Zeit zum Vorschein, manche Schwierigkeiten tauchen erst später auf, man muss immer wieder Wege zu- und miteinander finden. Das erfordert Einsatz und Bereitschaft von beiden Seiten.

3. Die Mitarbeiter/innen – Zusammenarbeit – Selbständigkeit

Von Anfang an begeistert hat mich der große Einsatz der Ehrenamtlichen, die in der Gemeinde an allen Ecken und Enden sehr engagiert mitarbeiten. Viele Aktivitäten der Gemeinde werden ausschließlich von Ehrenamtlichen getragen und funktionieren bestens, wovon die Gemeinde gerade in der Zeit meiner Karenz profitierte.

Für mich als junge Pfarrerin, die neu in die Gemeinde kam, hat sich daraus allerdings zum Teil eine gewisse Unsicherheit ergeben, was die Zuständigkeit betraf. Die „alteingesessenen“ Gemeindeglieder hielt ich für kompetenter, „ihre“ Aktivitäten zu leiten und zu organisieren als mich als „Neuling“, darum überließ ich ihnen viel Verantwortung im Vertrauen auf ihre Erfahrungen und Fähigkeiten. Für einige war dieses Vorgehen passend, sie trugen gern die Verantwortung für ihre Projekte und Aktivitäten, andere hätten sich mehr Leitung und Begleitung meinerseits gewünscht. Es wäre für mich hilfreich gewesen, wenn sie dies klarer kommuniziert hätten.

Die GV-Wahl im November 2011 hätte ich lieber ein Jahr später gehabt, dann hätte ich die Leute vorher kennenlernen können. So waren die Vorbereitungen großteils abgeschlossen, als ich in die Gemeinde kam. Was mir positiv auffiel, war, dass es eine echte Wahl war mit mehr Kandidat/innen als es Plätze in der GV gab. Auch dass schon im Vorfeld alles sehr gut organisiert war – trotz Pfarrerinnenwechsel –, sprach für die Ehrenamtlichen und ihr Engagement. Das neue Presbyterium setzte sich überwiegend aus erfahrenen und langjährigen Presbyterinnen zusammen, die Aufgabenverteilung brauchte nicht lang diskutiert zu werden.

4. Die 75%-Pfarrstelle in Voitsberg

Im Pfarrberuf arbeitet man am Vormittag, am Nachmittag und oft auch am Abend, meistens ist der Montag der freie Tag. Wann aber ist die Arbeitszeit zu Ende? Und wie ist das bei einer 75%-Pfarrstelle? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Reduktion und wer hat sie zu tragen? Der Verwaltungsaufwand ist zum Teil gleich groß wie in einer 100%-Pfarrstelle (einen Brief oder eine Einladung formulieren, den Konfikurs vorbereiten, …); muss ein Pfarrer/ eine Pfarrerin (fast) immer erreichbar sein? Und wie steht es bei einem ¾-Pfarrer?

Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es vielen in der Gemeinde nicht klar ist, was es bedeutet, wenn eine Pfarrstelle reduziert wird und die Pfarrerin elf Wochenstunden Religionsunterricht hat. Daraus ergaben sich auch unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen, was meine Zuständigkeiten und Aufgaben betraf, was zu Konflikten führte.

5. Religionsunterricht im Ausmaß von elf Stunden

Der Bezirk Voitsberg hat eine hohe Schuldichte. Die wenigen evangelischen Schülerinnen und Schüler verteilen sich im ganzen Gemeindegebiet, zum Teil gibt es nur ein evangelisches Kind an einer Schule. Die Koordination von zehn und mehr Schulen und das Basteln eines Stundenplanes am Schuljahresanfang (z.B. elf Stunden an vier Tagen in acht Schulen) waren jedes Mal ein hoher organisatorischer und koordinatorischer Aufwand, der Ressourcen der Pfarrerin bindet und das oft bis zur vierten Schulwoche oder länger.

Eine Herausforderung war das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen von der Volksschule über die Neue Mittelschule sowie Unter- und Oberstufe im Gymnasium. Die Vorbereitung nahm viel Zeit in Anspruch, da ich wenig fertiges Material hatte, auf das ich zurückgreifen konnte.

Einen großen Vorteil der vielen Religionsstunden an fast allen Schulen im Gemeindegebiet sehe ich andererseits darin, dass ich den Großteil der evangelischen Kinder persönlich kannte bzw. kenne. So kann der Religionsunterricht als Teil der Pfarrgemeindearbeit im Bereich Kinder und Familien angesehen werden, was aber innerhalb der Gemeinde meist wenig wahrgenommen wird.

6. Entwicklungen im Gemeindeleben

Durch den persönlichen Kontakt mit vielen evangelischen Kindern aus der Gemeinde im Religionsunterricht konnte ich auch einige für die Freizeiten der Evangelischen Jugend begeistern, zum Beispiel die Pfingstzeltfreizeit, für die ich seit 2010 mit meinem Mann Daniel die Leitung übernommen habe. In meinem ersten Jahr in Voitsberg (2012) fuhren zwei Kinder aus Voitsberg mit, die Zahl hat sich seither von Jahr zu Jahr vergrößert. Im Sommer 2012 gab es die TeenieTage, eine Zeltfreizeit für 10-14-Jährige, die von mehreren Gemeinden getragen wird, im Voitsberger Pfarrgarten. Auch hier waren Jugendliche aus unserer Gemeinde mit dabei.

Der neu bzw. wieder eingeführte miniGottesdienst hat einige Familien angesprochen, die gerne mit ihren Kleinen und Kleinsten kommen und in ungezwungener und kindgerechter Form Kirche erleben wollen.

Dietmar Böhmer löste Roswitha Großauer 2012 als Kuratorin ab. Die Zusammenarbeit und den Austausch mit ihm habe ich ebenfalls als fruchtbar und produktiv erlebt, sein Einsatz für die Gemeinde erstreckt sich auf viele verschiedene Bereiche. Ebenso hat Norbert Mayer als Lektor verlässlich einen Gottesdienst im Monat übernommen, bei Bedarf auch manchmal mehr, was eine deutlich spürbare und – gerade angesichts der 75%-Pfarrstelle – auch notwendige Entlastung bedeutete.

Neben den zahlreichen von ehrenamtlich Engagierten gut etablierten Aktivitäten sind auch neue Kreise und Ideen entstanden, etwa ein Besuchsdienstkreis als Resultat der Gemeindeklausur im Frühjahr 2014. Auf dieser Klausur – der ersten ihrer Art mit der GV und weiteren Interessierten – setzten wir uns intensiv mit unseren Vorstellungen von Gemeinde auseinander, entwickelten einen Leitsatz und suchten nach Möglichkeiten, einige unserer Vorstellungen umzusetzen.

Ich bin dankbar, dass ich in den letzten dreieinhalb Jahren die Gemeinde auf ihren Wegen begleiten konnte, es hat mir Freude gemacht zu sehen, was sich entwickelt und wächst.

7. Herausforderungen, Erwartungen, Pfarrerbild

Im Oktober 2012 ging ich in Mutterschutz und Karenz, eine ganz neue Erfahrung für die Gemeinde. Jemand drückte es so aus: „Jetzt haben wir eine Pfarrerin und haben doch keine.“

In der letzten GV-Sitzung vor dem Mutterschutz kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, sodass die Sitzung abgebrochen und vertagt wurde. Unter der Leitung von Pfarrer Paul Nitsche versuchten wir zu formulieren, was passiert war und wie es weitergehen sollte. Es war schwierig, die enttäuschten Erwartungen auf beiden Seiten (GV und Pfarrerin) auszudrücken und wahrzunehmen, obwohl sie im Grunde sehr ähnlich waren. Die gegenseitige Wertschätzung für das, was jeder an Einsatz und Engagement einbrachte, war jeweils nicht angekommen. Allein die Erkenntnis, dass dem so war, brachte eine gewisse Entspannung der Situation.

Nach dem Ende meiner Karenz im Februar 2014 stieg ich mit dem Sommersemester wieder zu 100% ein, während mein Mann Daniel ein halbes Jahr in Karenz ging. Schon ab Herbst hatte ich allerdings bereits den KonfiKurs mit monatlichen Blöcken begonnen und feierte den einen oder anderen Gottesdienst mit der Gemeinde, außerdem organisierte ich den Religionsunterricht schon im Jänner, sodass mit Beginn des zweiten Semesters der Stundenplan stand.

Das Sommersemester war sehr dicht mit zahlreichen Aktivitäten wie KonfiFreizeit, Tauferinnerung, Pfingstzeltfreizeit und Konfirmation und den jeweiligen Vorbereitungen dazu. Die zum Teil freie Zeiteinteilung im Pfarrberuf und die vielen verschiedenen Aufgabenfelder erfordern ein gutes Zeitmanagement und gute (Selbst)Organisation. Immer wieder hat man zwar den ganzen Tag gearbeitet, dabei aber nicht alles geschafft, was man sich vorgenommen hatte. Wenn sich die Kräfte auf zu viele „Baustellen“ verteilen, bleibt oft für den einzelnen Arbeitsbereich zu wenig übrig, sodass überall gerade genug gemacht werden kann, dass die „Baustelle“ nicht verfällt. Erstreckt sich diese Situation über einen längeren Zeitraum, wird das Arbeiten unbefriedigend.

Um in dieser Arbeitssituation auch das Privatleben pflegen und genießen zu können, Auszeiten und einen Ausgleich zu haben, war es mir wichtig, mich abzugrenzen. Ich wollte auch als Privatperson, als Ehefrau und Mama existieren, nicht nur als Pfarrerin, die zufällig Familie hat. Es ist mir nicht immer gut gelungen und ist wohl ein lebenslanger Lernprozess, da eine gute Linie zu finden und sie klar zu kommunizieren, sowie mit den Reaktionen umzugehen, die eine solche Abgrenzung hervorruft, vor allem dort, wo einem wenig Verständnis für den eigenen Lebensentwurf entgegengebracht wird. Wäre es nicht denkbar, dass dem Pfarrer/ der Pfarrerin Auszeiten und Ausgleich von Seiten der Gemeinde nicht nur zugestanden werden, sondern sie diese vielmehr anregt und unterstützt, um seine/ ihre Einsatzfähigkeit auch für die Gemeinde langfristig zu sichern?

In der GV-Sitzung vor dem Sommer wurde ich damit konfrontiert, dass eine langjährige und treue Mitarbeiterin alle ihre Ämter niederlegte. Sie begründete ihren Entschluss mit meiner Arbeitsweise und meinem Verhalten innerhalb der Gemeinde.

Im weiteren Verlauf der Sitzung wurden viele Vorwürfe laut, die mich persönlich und meine Arbeit betrafen. Für mich brach dieser Sturm unerwartet über mich herein und brachte mich entsprechend aus dem Gleichgewicht. Ich versuchte, mir alles anzuhören ohne mich zu verteidigen, und die Offenheit wertzuschätzen, in der diese Kritik geäußert wurde.

Es hat mich sehr belastet, mir für längere Zeit viel Energie und Arbeitsfreude geraubt und mich auch gekränkt, dass ich gerade nach den Monaten, in denen ich enorm viel gearbeitet und mich für die Gemeinde eingesetzt hatte, öfter auch zum Leidwesen meiner Familie, weil ich wenig Zeit für sie hatte, solche Dinge vorgeworfen bekam. Trotz meines maximalen Einsatzes war es nicht genug. Offenbar waren die Erwartungen und Vorstellungen hier massiv auseinandergelaufen.

Zur nächsten GV-Sitzung im Herbst luden wir Pfarrer Herwig Hohenberger ein, den Punkt „Erwartungen“ zu moderieren. Als erstes Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass es einen großen Bedarf gibt, Zuständigkeiten und Schwerpunkte für die Arbeit des Pfarrers/ der Pfarrerin und der Gemeinde zu klären, da der Pfarrer/ die Pfarrerin nicht alle gewünschten Arbeitsfelder genügend versorgen kann.

Zwischenzeitlich fiel unser Entschluss, nach meiner zweiten Karenz nicht in Voitsberg zu bleiben, und so wurde die Arbeit an diesen Punkten nicht fortgesetzt. Ich hoffe aber sehr, dass die Gemeinde dranbleibt und mit ihrem neuen Pfarrer/ ihrer neuen Pfarrerin daran weiterarbeitet.

Wo immer Menschen zusammenarbeiten, treffen unterschiedliche Erwartungen aufeinander, die nicht immer alle erfüllt werden können. Jeder in der GV bzw. der Gemeinde hat seine eigene Vorstellung davon, was und wie der Pfarrer/ die Pfarrerin machen sollte. Auch wenn nicht alle Erwartungen erfüllt werden können, ist es doch wichtig, sie auszusprechen, am besten im direkten, persönlichen Gespräch, nicht unbedingt in den Sitzungen.

Der Pfarrberuf ist immer mehr als „nur ein Job“. Gleichzeitig ist eine Pfarrstelle aber eben auch eine Arbeitsstelle und bedarf einer Abgrenzung gegenüber dem Privatleben des Pfarrers/ der Pfarrerin.

8. Resümee

Ich bin froh über die Entscheidung, für einige Zeit „Vollzeitmama“ zu sein, vor allem nach den Erfahrungen der letzten Monate, in denen mein Mann Daniel und ich beide gearbeitet haben. Die Zeit, in der die Kinder klein sind, geht schnell vorbei und sie lässt sich nicht später nachholen, genauso wenig die Partnerschaft. Gerne möchte ich nach der „Kinderzeit“ wieder als Pfarrerin arbeiten, da ich die Arbeit gerne mache, die Vielfalt der Aufgaben schätze sowie die Möglichkeit Menschen von Gott zu erzählen.

Ich bin dankbar für alles, was ich in meiner Zeit als Pfarrerin in Voitsberg gelernt habe, für das, was ich in die Gemeinde einbringen konnte, und für das Stück Weg, auf dem ich die Gemeinde dreieinhalb Jahre lang begleitet habe.

Ich schätze die Menschen hier für ihre Treue gegenüber ihrer Gemeinde, für ihr Engagement und ihre Offenheit. Ich wünsche der Gemeinde Gottes Segen für die Zukunft, dass die Pfarrstelle bald wieder besetzt wird, der/ die Neue genauso freundlich willkommen geheißen wird wie wir damals, und das Zusammenwirken gut funktioniert und reiche Früchte trägt.

Im Sinne von Paulus, der an die Korinther schreibt: Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. (1 Kor 3,6)

Mag. Fleur S. Kant